Spaziergangstagebuch 9

Auf dem Hölderlinpfad von Bad Homburg nach Frankfurt.

16.06.2022

Schon seit einiger Zeit habe ich vor gehabt, diesen 22 km langen, ausgeschilderten Pfad auf den Spuren Hölderlins zu gehen. Und ich wollte ihn genau in dieser Richtung gehen, von den Hängen des Taunus nach Frankfurt, die Skyline im Blick. Es ist der erste geführte Spaziergang in diesen Tagebüchern. Das Wetter war perfekt, das Neuneuroticket ermöglichte eine preiswerte Anreise. Die geschenkte Thermostasche einer Freundin kam erstmals zum Einsatz. Sie ist gut für Picknick geeignet, Gläser und Teller (aus Kunststoff) ebenso vorhanden wie Bestecke und Servietten. Ich befüllte eine halbliter Wasserflasche mit Riesling, eine andere mit Wasser, kaufte ein Stück Fleischwurst, zwei Brötchen, packte Senf und einen Apfel dazu und los ging es. Zunächst verpasste ich die U-Bahn, musste daher eine halbe Stunde an der Konstablerwache auf die nächste S-Bahn warten. Es war Fronleichnam, dieser überflüssige Feiertag. Auf dem Plateau der Konstablerwache standen etliche Buden, Flohmarkt. Wie hässlich doch dieser Platz ist, wenn kein Markttag ist, dachte ich. Aber ich konnte mir mit diesem Flohmarkt etwas die Zeit vertreiben. Flohmärkte locken mich meist nicht.

Dann war ich endlich in Bad Homburg. Der Pfad beginnt am Bad Homburger Schloss in der Innenstadt. Darauf verzichtete ich, er führt auch unmittelbar am Bahnhof vorbei.

Schnell entdecke ich den ersten markanten, von Hans Traxler gezeichneten, Wegweiser. Zunächst wird der Spaziergänger durch ein Industriegebiet geleitet, hinter den Zweckbauten Kirch- und Schlossturm der Stadt zu sehen. Ab dem Ausfluglokal Kronenhof, es gibt hier ein gutes, selbst gebrautes Bier, geht es für die nächsten Kilometer über landwirtschaftliche Wege durch Felder und Wiesen. Rechts der Taunus, am Horizont die Frankfurter Skyline. Nirgendwo Schatten oder eine Bank, auf der es sich rasten ließe. Der Weg passiert einen Tierfriedhof. Noch nie hatte ich eine solche Ruhestätte für des Menschen beste Freunde gesehen. Er war liebevoll gepflegt.

Es war heiß, die am Vortag gekaufte Sonnenschutzcreme hatte ich vergessen, nicht jedoch den kürzlich erworbenen Schlapphut. In Kombination mit einem weißen Leinenhemd war es jedoch sehr gut zu ertragen. Der Hut war meine beste Anschaffung der letzten hundert Jahre. Ohne ihn wär´s mir nicht gut ergangen. Hölderlin trug auf seinen monatlichen Gängen nach Frankfurt sicherlich auch einen Hut. Es heißt, er hätte die Strecke in drei Stunden zurückgelegt und sei am selben Tag wieder zurück gegangen. Diese Strapazen nahm er nur in Kauf, um seine Geliebte Susette Gontard zu sehen und gegenseitig die Briefe des letzten Monats auszutauschen. Hölderlin war Ende des 18. Jahrhunderts bei der Kaufmannsfamilie Gontard als Hauslehrer beschäftigt. Als sich zwischen der Dame des Hauses, Susette (Suzette), und ihm eine Liason anbahnte, blieb das dem Hausherren nicht verborgen. Er feuerte Hölderlin umgehend. Dieser fand Aufnahme bei einem Studienfreund in Bad Homburg. Susette (Suzette) Gontard ging als Diotima in die Literaturgeschichte ein. Sicher ist, dass Hölderlin nicht den gleichen Weg nutzte, den ich jetzt ging. Damals sah die Landschaft noch völlig anders aus. Es gab keine Auto- und Eisenbahn, keine asphaltierten Wege, keinen Stadtteil Riedberg und keine Frankfurter Skyline. Der Hölderlinpfad versucht daher, den Wegen des Dichters annähernd zu folgen.

Ich hoffte auf eine Sitzgelegenheit, am besten mit einem Tisch. Aber es sollte dauern. Erst im neuen Stadteil Riedberg, von dem ich bislang viel Schreckliches gehört habe. Dort war ich hingegen noch nie. Ich fand, von Norden kommend ein einladendes Viertel, ganz offensichtssichtlich für junge, und wohlhabende, Familien mit Kindern geplant. Die Vielzahl von Spielplätzen deutete darauf hin. Außerdem viel Grün, große Insektenwiesen und ein kleiner Park mit einem Weiher, Kätcheslachpark, so der merkwürdige Namen der Grünanlage. An einem der Spielplätze fand ich eine Bank, leider nicht im Schatten und ohne Tisch. Aber egal, ich wollte etwas rasten, essen und trinken. Dort machte ich mein Picknick, aß Wurst, trank Wasser und Wein. Das tat gut. Nach einer Dreiviertelstunde gings weiter.

Zunächst verlor ich den Pfad, hatte einen Wegweiser übersehen. Das gehört dazu, Verlaufen ist ein Charakteristikum von Spaziergängen. Wer nicht geht, kann sich auch nicht verlaufen. So lernt man die Welt kennen, quasi allein auf sich gestellt. Ich fand den kleinen Umweg durch diesen Teil von Riedberg durchaus interessant und freute mich an dem schönen ruhigen Weg durch hohe Insektenwiesen. Dann kehrte ich um und begab mich wieder in die wohlbehütete Obhut von Herrn Hölderlin, bzw dem nach ihm benannten Pfad. Grün ging es weiter bis zum alten Flugplatz Bonames. Dieser, seit 30 Jahren stillgelegte Flugplatz ist Teil des Frankfurter Grüngürtels, der sich rund um die Stadt zieht. Er wurde einst von der amerikanischen Armee genutzt, bis er 1992 stillgelegt wurde. Bis vor einigen Jahren gab es dort ein schönes Restaurant, in dem sozial benachteiligte Jugendliche beschäftigt wurden und eine Ausbildung machen konnten. Jetzt ist dort nur noch ein Kiosk zu finden, mit dem entsprechenden Angebot. Getränke aus Flaschen, Eis, Bratwurst und den schlechtesten und teuersten Apfelwein Frankfurts. Ein dünnes Gesöff, mit Wasser gespritzt, kostet drei Euro. Es versteht sich, dass er nicht geschmeckt hat. Aber ich konnte an einem Tisch sitzen und ein Klo gabs auch.

Nach kurzem Stopp setzte ich meinen Weg fort. Zunächst sehr schön am Uferweg der Nidda bis es dann nach rechts ging in Richtung Innenstadt. Den schönsten Teil des Pfades hatte ich hinter mir. Jetzt folgte städtische Ödnis, und gelegentlich verlor ich den Weg. Die Wegweiser waren mal auf der einen Seite der Straße angebracht und dann wieder auf der anderen. Ich folgte also der Homburger Landstraße und landete irgendwann auf der Eschenheimer Landstraße. Ab hier kümmerte ich mich nicht mehr um irgendwelche Hinweise, sondern ging geradeaus bis zum Hauptfriedhof. War nicht mehr weit bis Bornheim. Der eigentliche Hölderlinpfad endet am Goethehaus, wieso auch immer. Ohne Goethe geht’s nicht in Frankfurt. Den Hauptfriedhof hatte ich schon oft gequert, freilich ohne ihn gut zu kennen. Stattete Siegfried Unseld einen Besuch ab und entdeckte das neu aufgeschüttete Grab von Emil Mangelsdorff, dem kürzlich verstorbenen Jazzmusiker. Anschließend zum Hauptfriedhof geht’s durch die Grüne Lunge, dieser grünen Oase am Rande des Günthersburgparks. Die einst geplante Bebauung dieses Areals liegt nach dem Wahlsieg der Grünen bei der letzten Kommunalwahl glücklicherweise auf Eis. Durch den Günthersburgpark mit seinen vertrockneten, braunen Wiesen gehe ich weiter nach Bornheim. In der Gaststätte Weida schmeckt das kalte Bier besser als sonst.