Spaziergangstagebuch 1

An dieser Stelle möchte ich künftig gelegentlich eine Art Tagebuch meiner Spaziergänge veröffentlichen. Notizen und Skizzen, nichts Ausformuliertes. Einige Fotos zur Illustration. Mit einem besonderen Blick auf Details, die nur Fußgänger wahrnehmen, alle anderen fahren dran vorbei. Versuche das Flüchtige festzuhalten. Auch das ist Stadt.

29.10.21

Vom Ernst-May-Platz zum Markt an der Schillerstraße.

An der Wand Sprüche von Peng: 24 Schritte pro Sekunde (Heidestraße). Ein Bett lehnt an der Wand: Unbenutzt. Zu verschenken. In der Heidestraße wurden einige Kreuzungen verkehrssicher gestaltet. Wieso nicht überall? Vor dem Bäcker Kronberger in der Vogelsbergstraße hat sich eine kleine Schlange gebildet. Das kennt man von dort. Vogelsberg/ Ecke Rotlintstraße, ein an einem Verkehrsschild angeschlossener bunter, drehbarer Holzstuhl mit vier Beinen, Lehne und Armstützen. Auf der Rückseite der Lehne steht: Ok Bloomer. In der Straße mit dem seltsamen Namen Eiserne Hand lehnen an der Wand einige Wahlplakate der Linken, sinnlos geworden und bereit zur Entsorgung. Doppelter Espresso beim Wasserhäuschen Fein. Auf der Theke, an der früher die Bindingtrinker standen, Gläser mit buntem Zuckerkram, das auch heute noch für große Kinderaugen sorgt. Der Anlagenring zeigt sich herbstlich in der letzten Oktobersonne. Die U-Bahnstation Eschersheimer Tor dient wieder als warmer Schlafplatz für Obdachlose. Puffer und Schobbe bei Schoppe Otto auf dem Schillermarkt. Schinkenbrötchen waren schon wieder ausverkauft. Am Nebentisch ein Mann vor einem Laptop. Er pafft eine Zigarre. Der Geruch zieht zu mir, nicht unangenehm. An einem weiteren Tisch zwei Männer und zwei Frauen. Schobbe vor sich, Wurst und Käse auf dem Tisch ausgebreitet. Alle greifen zu. Einer der vier hat eine Ähnlichkeit mit Keith Richards, mit Tuch im weißen, längeren Haar. Er schneidet die Wurst mit einem Opinel. Auf der anderen Seite vor einer Coffee Bar eine schöne farbige Frau. Neben ihr zwei prall gefüllte Papiertaschen der Modegruppe Zara. Sie unterhält sich mit einem älteren Mann mit Hut und Schal und einer Frau, die mir den Rücken zuwendet. Von der Hauptwache drängen die typischen Geräusche einer Demo herüber. Eine Megaphonstimme spricht von Gewerkschaften. Laut, nah und unsichtbar. Am Friedberger Platz ist Wochenmarkt. Bald wird hier wieder die freitägliche Party steigen. Einige junge Leute sind schon da. Andere sitzen auf der Bank, halten das Gesicht in die Oktobersonne und trinken Wein. In einem Hinterhof in der Vogelsbergstraße prangt die Venus von Botticcelli, flankiert von Micky Maus, Donald Duck und Goofy an einer Tür.

Das Krisen-Photo zum Donnerstag

Eines meiner liebsten wöchentlichen Rituale ist der donnerstägliche Gang zum Erzeugermarkt an der Konstablerwache. Dort trinke ich ein-zwei Schobbe und esse irgendwas. Dann kaufe ich ein. Ich habe schon gelegentlich darüber geschrieben. Wann ich angefangen habe, mein Schobbeglas mit dem Deggelsche zu photographieren und auf Facebook zu veröffentlichen, weiß ich nicht mehr, bin auch zu faul, um zu recherchieren. Jedenfalls hat sich daraus eine kleine harmlose Spielerei ergeben und einige Leute haben Gefallen gefunden an diesen „Photos zum Donnerstag“, wie ich sie immer nenne. Die Bilder sahen meist so ähnlich aus wie dieses hier unten.

Photo zum Donnerstag

Mit den Corona-Schutzmaßnahmen, die ab Mitte März 2020 griffen, war das Photo zum Donnerstag in dieser Form nicht mehr möglich, denn der Ausschank auf dem Markt an der Konstablerwache wurde eingestellt. Es durfte dort nichts mehr verzehrt werden. Na gut, dachte ich mir, trinke ich meinen Schobbe halt zuhause und mache das Photo dort auf meinem Balkönsche. Das erste, das ich dann „Das Krisen-Photo zum Donnerstag“ nannte, war das vom 19. März. Ohne dass ich es beabsichtigt hatte, war das Glas unscharf dargestellt, nur der Baum im Hintergrund war scharf. Erst wollte ich es löschen, dann aber gefiel es mir. Ich hatte den Eindruck, das unscharfe Glas würde die Krise vielleicht ganz treffend illustrieren. Und ich hatte die Idee, mit dem Motiv zu spielen, auszubrechen aus der gewohnten Form. Dabei versuchte ich, eine gewisse Dramaturgie einzuhalten.

Spätestens als ich für das Photo vom 23. April ein Geripptes (so heißen diese Gläser) aus dem Nachlass meiner Eltern zerdepperte, wurde es völlig beliebig. Aber es hat sehr viel Spaß gemacht, mit dem „Photo zum Donnerstag“ auf diese Art zu spielen. Auch freute ich mich immer auf die, für meine Verhältnisse, zahlreichen Reaktionen und Kommentare. Sogar in Kanada wurden die Donnerstagsphotos wahrgenommen. Das erfolgreichste dieser Krisenphotos war das vom 02. April, das mit der Luftpolsterfolie. Das Bild vom 25. Juni war dann das erste, dass ich wieder auf dem Markt machte. Ich nannte es immer noch Krisen-Photo. Das Glas traut sich nicht so recht ins Bild, verharrt am Rand, mir war die Sache nicht geheuer. Eine Facebook-Freundin, die schon lange Gefallen an diesen Photos gefunden hatte, fand die Krisen-Photos dann allerdings recht deprimierend und schenkte mir zur Aufheiterung dieses schöne Halbliter-Gerippte mit Goldrand und Schleifchen. Eine Geste, über die ich mich sehr gefreut habe. Das Bild postete ich außerhalb der Reihe am 18. Juli unter dem Titel „Freude-Photo zum Samstag“. Seit dem 02. Juli geht es wieder gewohnt weiter mit den „Photos zum Donnerstag“, bis Corona wieder verstärkt zuschlägt und auf dem Markt wieder jeder Verzehr untersagt wird.

Das Freude-Photo zum Samstag

4. Seckbacher Eppelweinkontest

Es herrschte Ausgehwetter zum 4. Seckbacher Eppelweinkontest (über die Schreibweise „Eppelwein“ lässt sich streiten). Ein sonniger Tag, nicht zu heiß. Und so zogen viele Freundinnen und Freunde des güldenen Frankfurter Nationalgetränks zum Vereinsheim der FG Seckbach im Frankfurter Osten. Sie wollten eine Tradition feiern, die in Frankfurt leider fast ausgestorben ist, das Keltern von Apfelwein. Über Jahrzehnte war es selbstverständlich, dass Apfelweinwirte ihren Schoppen selbst herstellten. Davon kann inzwischen keine Rede mehr sein. Die meisten Frankfurter Apfelweinwirtschaften beziehen jetzt ihr „Stöffche“ von auswärtigen Keltereien aus dem Odenwald, der Wetterau oder dem Spessart. Nur eine Handvoll der Frankfurter Wirtsleute pflegt noch diese Tradition, aber auch die müssen oft noch zukaufen, weil der eigene Ertrag nicht ausreicht. Immerhin, ein waschechter Apfelweinwirt und Kelterer hatte sich eingefunden und stellte die Früchte seiner Arbeit zur Wahl. Er wurde Dritter. Ansonsten waren Hobbykelterer aufgerufen, ihre eigenen Schoppenkreationen anonym einem fachkundigen Publikum zu präsentieren und bewerten zu lassen. Den Sieger, die Siegerin, erwartete eine goldfarbene Krone aus Pappe und der Titel der neuen Seckbacher Apfelweinkönigin, bzw des Königs. Da das Selbstkeltern eine rein männliche Domäne zu sein scheint, stand von Anfang an fest, dass es sich beim neuen, wie auch beim alten, um einen König handeln wird.

Veranstaltet wird die ganze Angelegenheit unter anderem von Apfelweinenthusiasten, die als Seckbacher Pressung antreten, und in schöner Regelmäßigkeit den letzten Platz belegen, so auch dieses Mal. Das hält sie jedoch nicht davon ab, immer wieder aufs Neue ihren rauen Schoppen vorzustellen und vor allem diese liebenswerte Veranstaltung zu organisieren. Wie stets sorgten auch bei der 4. Ausgabe zwei DJs für die angemessene musikalische Untermalung und ließen Punk-, Rockabilly- und Soulklänge über den Seckbacher Sportplatz erschallen. Zum Einsatz kamen ausschließlich Vinyl-Singles. Auch hier zeigte sich also die Liebe zum Detail und zur Handarbeit. Einige tanzten.

Der diesjährige Zuspruch war beeindruckend, 19 Teilnehmer hatten sich gemeldet und die vorgeschriebenen zehn Liter ihres Apfelweins mitgebracht. Diese Proben landen in nummerierten Bembeln, die in Reih und Glied an der Probiertheke aufgereiht stehen. Vor den Bembeln platziert ist jeweils eine Dose mit der entsprechenden Nummer. Dort werden, nachdem alles gekostet ist, die Unterlegscheiben, die zum Eintritt (€ 4,- plus ein Euro Pfand fürs Glas) in einem kleinen Tütchen überreicht werden, entsprechend der Wertung eingeworfen. Außerdem erhält jeder eine Liste und einen Kugelschreiber, um die einzelnen Proben zu bewerten. Bei 19 unterschiedlichen Schoppen kann schnell der Überblick verloren gehen.

Das Gedränge an der Theke war groß, gelegentlich kamen Ellenbogen zum Einsatz, um an den Probeschluck zu gelangen. Kennerhaft wurden Geruch und Farbe begutachtet, nicht zuletzt natürlich der Geschmack. Es war ein harter Parcours, der das Publikum vor große Herausforderungen stellte. Einige der Tropfen kratzten an der Schmerzgrenze und sorgten für verzogene Mundwinkel und verdrehte Augen. Die bereitgestellten Eimer füllten sich zusehends. Zur Neutralisierung der Geschmacksnerven standen Brotwürfel bereit.

Probiertheke

Weil es sich mit leerem Magen schlecht testen lässt, sorgte ein Grill für die standesgemäße Versorgung mit Brat- und Rindswürsten, an der Kuchentheke gab`s Selbstgebackenes und natürlich durfte auch der Handkäs nicht fehlen. Wer von den Proben noch nicht genug hatte, griff zum unvermeidlichen Mispelchen. Bekannte wurden begrüßt, die jeweiligen Favoriten empfohlen und vor anderen gewarnt. Einmal die Frage, woher kenne ich dich? Es war schnell aufgeklärt, aus der Kneipe beim Apfelwein. Wo sonst? Ein buntes Völkchen hatte sich dort am Rande des Sportplatzes zusammengefunden. Junge, Alte, Tätowierte, Nichttätowierte, Rentner und Rock `n Roller. T-Shirts zeugten von der Liebe zur Eintracht, zu Metalbands, zur Stadt oder auch zum Apfelwein. Eine Besucherin trug ein Kleid mit Apfelmuster. Auf dem Sportplatz kickte ein Vater mit seinem Sohn. Es herrschte ausgelassene, sommerfrische Stimmung und im Mittelpunkt stand der Apfelwein.

Die Dosen werden unter der Aufsicht des Moderators vom letztjährigen Seckbacher Apfelweinkönig gewogen

Irgendwann hatte man sich durchgekämpft, alle 19 Proben verkostet und entsprechende Notizen gemacht. Die fünf bis sechs Schoppen, die in der engeren Wahl standen, sollten nochmals begutachtet werden, aber, siehe da, fast alle Bembel standen auf dem Kopf. Ausgetrunken. Mehr als die zehn Liter gab`s nicht. Die wenigen Proben, die jetzt noch übrig waren, wollte man dann vorsichtshalber nicht mehr testen. Also wurden die Unterlegscheiben gemäß den Notizen, sofern diese lesbar waren, in unterschiedlicher Gewichtung in den Dosen versenkt. Ein vierköpfiger Seckbacher Männerchor sang Apfelweinlieder und stimmte das Volk aufs große Finale ein. Dann wurde gewogen. Je schwerer die Dose, desto höher die Platzierung. Als die Sieger ermittelt waren, wurden sie vom letzten Seckbacher Apfelweinkönig gekrönt und erhielten einen hölzernen Teller mit entsprechender Widmung für die heimische Vitrine. Zum Schluss sangen alle das Lied der Frau Rauscher aus der Klappergass und vom Blauen Bock beim Äppelwein. Wie schon berichtet, belegte die Seckbacher Pressung den letzten Platz. Es bleibt zu hoffen, dass sie das nicht entmutigt im nächsten Jahr zum 5. Seckbacher Eppelweinkontest laden.

Die glücklichen Sieger

Donnerstags in Frankfurt

Mein liebster Wochentag ist der Donnerstag. Von den Vortagen stecken mir da drei meist anstrengende Kneipenschichten in den Knochen. In der ersten Januarwoche waren es sogar vier, vier harte Schichten. Ausnahmsweise habe ich am Sonntag gearbeitet. Am ersten Januar wird in der Kneipe immer ein Sauerkrautessen veranstaltet. Der Volksmund meint, man müsse an diesem Tag Sauerkraut essen, damit das Geld nicht ausgeht. Ich hab`s probiert und kann sagen, der Volksmund lügt. Egal, so fing das Jahr mit einer Elfeinhalb-Stundenschicht an. Der Donnerstag ist also sowas wie mein Wochenende, auch wenn ich arbeite, wie an den Folgetagen. Aber Donnerstags lass ich es gemächlich angehen. Nach dem späten Aufstehen erledige ich ein paar Dinge, Mails und so. Was halt anliegt. Gegen 15 Uhr mache ich mich dann auf den Weg zur Konstablerwache. Denn der Markt auf der Konstabler macht diesen Tag erst zu einem besonderen.

Ich spaziere dann durch die Stadt, versuche meinen Kopf frei zu bekommen und möglicherweise die eine oder andere Idee auszubrüten. Beim Gehen klappt das am besten. Fast immer laufe ich die Berger Straße stadteinwärts. Andere Wege führen auch in die Innenstadt, aber auf der Berger ist am meisten los und es gibt mehr zu sehen. Ich kann zwischen zwei Varianten wählen, den Spaziergang zu beginnen. Entweder ich gehe rechts, wenn ich aus dem Haus trete, oder links. Letzten Donnerstag bin ich nach rechts gegangen, vorbei an den Ernst-May-Häusern in der Wittelsbacherallee Richtung Saalburgallee. Dort passiert man das Lieblingswasserhäuschen von Jörg Fauser, der mal in der Wittelsbacher gewohnt hat. wasserhauschen Hinter der stark befahrenen Kreuzung schlage ich mich durch ruhige Nebenstraßen zur Berger. Ich komme am Uhrtürmchenplatz an und schaue erstmal ins Schaufenster meiner Lieblingsbuchhandlung, der Buchhandlung Schutt. uhrturmchenplatz1Die Berger zieht sich über vier Kilometer von der Innenstadt durch das Nordend und Bornheim bis nach Seckbach. Sie ist die Haupteinkaufsstraße der beiden Bezirke. Daher nehme ich auf meinem donnerstäglichen Spaziergang meist diese Route. Die Straße ist stets belebt und es gibt was zu sehen. Gegenüber der katholischen Kirche an der Ecke Eichwaldstraße hat im letzten Jahr ein hessischer Devotionalienladen eine neue Filiale eröffnet. Auf die Inhaber dieses Ladens habe ich mich vor einigen Jahren mal zu sehr verlassen. Es war der wahrscheinlich größte Fehler meines Lebens. Anfangs wechselte ich immer die Straßenseite, wenn ich dort vorbeiging, mittlerweile nicht mehr. Rechterhand folgt das seit Jahren verlassene Gebäude des Elektrokaufhauses Saturn, Frankfurter reden immer noch von „Saturn-Hansa“. So hieß das wohl mal vor vielen Jahren. Gegenüber des toten Gebäudes stehen seither einige Läden leer. Immer wieder rauschen neue Pläne und Gerüchte durch den Blätterwald, was aus der Immobilie werden soll. Passieren tut nichts und so steht der hässliche Klotz sinnlos in der Gegend rum und verschandelt das Stadtbild. Allerdings dient der ehemalige, überdachte Eingangsbereich einigen Obdachlosen als Schlafplatz. saturnAn der Kreuzung Höhen- und Berger Straße wurde im letzten Jahr eine Fußgängerin von einem Baustellenfahrzeug überfahren und tödlich verletzt. Der LKW war entgegen der Einbahnstraße zur Kreuzung gefahren und rechts in die Höhenstraße abgebogen. Das Opfer wollte bei Grün die Straße überqueren. Bis heute erinnern Blumen und Kerzen an den grausamen Unfall. Gegenüber der Unfallstelle wird jetzt ein seit Ewigkeiten brach liegendes Gelände bebaut. Der Entwurf des Hauses, der dort hängt, macht auf mich einen guten Eindruck. Es wird sich erfreulich von der heute so verbreiteten „Würfelhustenarchitektur“ unterscheiden. Warten wir ab, wie es in der Realität wirkt. baustelle-berger-hohen

Ab dieser Kreuzung beginnt die untere Berger Straße. Wir sind im Nordend. Vielleicht liegt es daran, dass sich die Straße fast zu einer reinen Fressmeile entwickelt hat. Klassische Einzelhandelsgeschäfte können sich die Mieten hier nicht mehr leisten. Cafés, Restaurants, Burgerläden, Sushi-, Waffel- und Pizzabuden wechseln sich ab. Fast im Wochenrythmus eröffnen neue Gastrobetriebe, die die kochfaule und solvente Anwohnerschaft vorm Hungertod bewahren wollen. Ich wundere mich immer, wer das alles essen soll. Auch Frankfurts berühmteste Curryanstalt hat sich dort mit einem Ableger niedergelassen, „Best Worscht in Town“. Sie ist berühmt für ihre Soßen, die in verschiedensten Schärfegraden angeboten wird. Wer die schärfste wählt, muss wahrscheinlich eine Erklärung unterschreiben, dass die Wurst mit der feurigen Soße freiwillig und bei voller geistiger Gesundheit verzehrt werden soll. Ich bestellte dort mal eine Currwurst „ohne Darm“. Daraufhin wurde ich unschwer als Berliner identifiziert, mein Wunsch konnte allerdings nicht erfüllt werden. Also nahm ich die übliche Wurst, die Soße mit Schärfegrad C, was mir auch eine Warnung einbrachte. Ob ich die schonmal gegessen hätte?

Weiter geht`s stadteinwärts, vorbei am Merianplatz mit dem hässlichen Brunnen, der aussieht wie irgendwas aus einem Automotor. Jetzt ist es nicht mehr weit zum Anlagenring, der der ehemaligen Stadbefestigung folgt. Vorher bleibe ich bei der Buchhandlung Y mit dem kleinen Café stehen und durchstöbere die Ramschkisten vor dem Laden. Kurz dahinter der schöne, wie aus der Zeit gefallene Gemüseladen, der auch leckere Suppen anbietet. Jedesmal nehme ich mir vor, mal eine zu probieren. Jedoch nicht am Donnerstag, denn da bin ich auf dem Weg zum Erzeugermarkt auf der Konstablerwache. Und dort warten andere Köstlichkeiten auf mich. Am Ende der Berger findet sich dann rechterhand der Bethmannpark, eine innerstädische Oase mit dem Chinesischen Garten. Einige Enten spazierten über den zugefrorenen Weiher. bethmannpark

An diesem Donnerstag jedoch macht der Markt einen recht gerupften Eindruck. Viele Besucher, mich eingeschlossen, irrten orientierungslos über den Platz, auf der Suche nach den gewohnten Anlaufstellen. Doch viele Erzeuger sind an diesem Tag zuhause geblieben, machten wohl eine Woche Urlaub nach den Weihnachtstagen. Mein erster Blick auf dem Markt gilt immer dem Stand des Obsthofs Sattler, der den besten Apfelwein ausschenkt, den ich kenne. Gelegentlich treffe ich dort Andeas Maier. Aber der Platz war verwaist, kein Sattler, kein Maier. konstablerDer benachbarte Platz, an dem sonst der Bauer Stranz seine Buden aufbaut war ebenso leer, wie viele andere an diesem Donnerstag. Ich wusste also im ersten Moment nicht, wo ich was essen sollte und wo meinen Schoppen trinken. Also besorgte ich mir woanders eine Kartoffelbratwurst und steuerte einen weiteren Stand an, der heißen Apfelwein anbot. Beides war lecker. bratwurstDennoch blieb ein leicht leeres Gefühl, als ich meine Schritte wieder Richtung Bornheim lenkte. Wie meist wollte ich auf dem Heimweg an einem Lieblingsort vorbeischauen und dort einen Kaffee trinken, dem Wasserhäuschen Fein am Anlagenring. Dieses ehemalige, klassische Wasserhäuschen mit den typischen Bindingtrinkern wurde im vorletzten Jahr von einer sehr engagierten und phantasievollen Frankfurterin übernommen und überaus liebevoll hergerichtet. Es gibt dort guten Kaffee, Kuchen, allerlei anderen Süßkram, auch Wein, Apfelwein und selbstverständlich auch Bier. Der Platz rund um den Kiosk ist immer liebevoll möbliert. Ein Kleinod, das zum Verweilen einlädt. Allerdings nicht am letzten Donnerstag. „Ferien bis 8. Januar“ verkündete ein Zettel an der geschlossenen Jalousie. Jetzt freu ich mich auf den nächsten Donnerstag.fein

Gaststätte Weida – Im blauen Bock

Abschiedskarte1

Collage von Gerhard Pauly

Oft bin ich vorbeigefahren an diesem schmucklosen Platz im Frankfurter Stadtteil Bornheim. Längst stillgelegte Straßenbahnschienen und vielbefahrene Straßen machten aus der Kreuzung Saalburg-, Heide- und Neebstraße einen ungastlichen Ort. Auch das an der Saalburgstraße gelegene Lokal erweckte nicht den Eindruck, als sei es noch bewirtet. „Gaststätte Weida – Im Blauen Bock“ stand über der Eingangstür geschrieben. Graffiti zierte die Wände und Butzenscheiben verwehrten den Blick ins Innere des Wirtshauses.

Das schöne Buch „Beim Apfelwein“ (B3 Verlag, Frankfurt, 2008) verstärkte meine Zweifel. Der Autor Michael Tetzlaff schildert dort seine fünf vergeblichen Versuche, der „Gaststätte Weida“ einen Besuch abzustatten. Und doch schien es sicher, dass die Weida tatsächlich meistens geöffnet hatte und ihre Gäste bewirtete. Gerüchte machten die Runde, Gerüchte von der eigenwilligen Wirtin, die ihre Gäste nach Sympathie behandelte und den üblichen gastronomischen Gepflogenheiten so gar nicht zu folgen bereit war. Fremde könnten es dort schon mal schwer haben. Gleichzeitig wurde die Qualität der Küche gelobt.

Eines Tages lernte ich am Tresen der unweit gelegenen Gaststätte Klabunt den Herrn K. kennen. Der Herr K. war jemand, der tatsächlich in der Weida verkehrte und dort als der „Herr Micha“ bekannt war. Er lobte die Küche überschwänglich. Ich bat ihn, mich mal mitzunehmen in das mysteriöse Lokal, allein würde ich mich nicht reintrauen. Wir beschlossen das demnächst zu tun.

Die Kreuzung war mittlerweile zu einem tristen und namenlosen Platz umgestaltet, mit viel Beton, einigen Bänken und einer Handvoll Bäume, als ich erstmals die „Gaststätte Weida – Im Blauen Bock“ betrat. Ich wähnte mich umgehend in einem Museum, einem Kneipenmuseum. Hier zeigte sich jahrzehntelange Apfelweintradition, in den Bildern an der Wand, in dem Nippes, der überall herumstand, der absurden Ansammlung von Kleiderhacken an den holzgetäfelten Wänden. Die Deckenlampen waren von rustikaler Scheußlichkeit. Zusammengehalten wurde dieses volkstümliche Sammelsurium von der Wirtin.

Frau Wolf war eine stattliche Frau in weißer Kittelschürze, das üppige, rotgefärbte Haupthaar zu einem Dutt gewölbt, auf dem bei Bedarf auch die Brille stabilen Halt fand. Der Empfang des neuen Gastes war freundlich, wohl weil der „Herr Micha“ ihn begleitete. Es wurde Apfelwein bestellt, den ich nicht vertrug. Fürderhin blieb ich beim Bier. Das ging so lange gut, bis mir Frau Wolf bei einem meiner zahlreichen späteren Besuche ungefragt einen Bembel hinstellte. Widerstand war zwecklos und seitdem vertrug ich das Weida`sche Stöffsche auch. In der Weida wurde gegessen und getrunken, was auf den Tisch kam, und das war nicht unbedingt immer das, was man bestellt hatte. Auch musste der Gast Zeit mitbringen, wenn er die Weida besuchte. Frau Wolf ließ es sich nie nehmen, auf einen Plausch bei den Gästen Platz zu nehmen und den einen oder anderen Witz zu erzählen. Da musste manche Bestellung schon mal warten.

Die Speisekarte offenbarte keine Überraschungen. Deftige Hausmannskost war im Angebot, meistens mit Fleisch oder Wurst, Grüne Soße in allen Variationen. Vegetarier hatten es hier schwer, obwohl auch für Fleischverweigerer etwas zu finden war. Ich habe mich im Laufe der Zeit durch die Speisekarte gegessen. Alles war köstlich und der Spruch „Wie bei Muttern“ sollte geändert werden in „Wie in der Weida“. Der gelernte Metzgermeister Günter Wolf stand in der Küche und bereitete diese Köstlichkeiten zu. Es hieß, früher hätte er auch noch selbst geschlachtet.

Viele Geschichten und Anekdoten ranken sich um die Weida, die des weißen Frotteebademantels etwa. In der Herrentoilette stand eine Kleiderstange mit vielen Bügeln. Auf einem dieser Bügel hing ein weißer Frotteebademantel. Auf die Frage, woher dieser stamme, bekam man die Antwort, den hätte vor vielen Jahren ein Gast vergessen. Seitdem hing dieses Relikt auf der Kleiderstange in der Weida`schen Herrentoilette, wurde auch regelmäßig gewaschen. Eines Tages jedoch, es ist noch nicht allzu lange her, hing der Bademantel nicht mehr an seinem angestammten Platz. Auf Anfrage erzählte Frau Wolf die Geschichte einer Gruppe ihr unbekannter Männer, eines Junggesellensabschieds, die über das „Innernet“ („mir habbe des ja net“) in die Weida gefunden hätte. Es wurde ordentlich gegessen und getrunken, bis jemand aus der Gruppe – es konnte nicht ausbleiben – in den Bademantel gekleidet, von der Toilette zurück kam. Er bot € 100,- für das gute Stück. Das wollte die Frau Wolf dann aber doch nicht annehmen. Schließlich hätte die Gruppe die Zeche dann auf den nächsten Hunderter aufgerundet und durfte das Frotteesouvenir mitnehmen. So ging dieses unscheinbare Stück Weida`scher Geschichte für ca. € 39,20 über den Tresen. Es war, als hätte man die Quadriga vom Brandenburger Tor geschraubt.

Vielleicht war der Verkauf des Bademantels aber auch schon ein kleiner Schritt in Richtung Abschied. Vor über fünfzig Jahren hat Brigitte Wolf erstmals in der Gaststätte ihrer Eltern mitgeholfen, später dann mit Ihrem Ehemann Günter Wolf die „Gaststätte Weida – Im Blauen Bock“ geführt und damit ein Stück Frankfurter Gastronomiegeschichte geschrieben. Manch einer der weißhaarigen Gäste hat über all diese Jahre seinen Schoppen bei den Wolfs getrunken.

Ende Juli waren die Stammgäste geladen, um an zwei Abenden Abschied von den Wirtsleuten und ihrer „Gaststätte Weida – Im blauen Bock“ zu nehmen. Für lächerliche zwölf Euro durfte man trinken und essen was die Küche noch hergab. Zum Schluss wurden Autogramme verteilt.

Der Abschied verlief ohne Wehmut. Die Wolfs haben einen Nachfolger gefunden, der den Charakter der Weida nicht verändern will. Angesichts der sich überall epidemisch ausbreitenden Läden, die kalten Fisch, gefrorenen Joghurt oder Blasentee feilbieten, hat er einen wichtigen Job zu erledigen. Viel Glück!

Und dem Ehepaar Wolf kann man nur danken für fünfzig Jahre „Gaststätte Weida – Im blauen Bock“ und noch schöne, erfüllte und stressfreie Jahre wünschen.