Mein Urheberrecht

Alle Welt redet derzeit über das Urheberrecht. Das liegt nicht zuletzt an der Piraten-Partei, aber die Diskussion ist schon viel älter. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat den Versuch unternommen, die verschiedenen Standpunkte der laufenden Diskussion zu katalogisieren. Drei Kategorien sind dabei herausgekommen: die Neuerer, die Bewahrer und die Moderatoren.

Die bösen Verwerter

Im besonderen Fokus der Gegner des Urheberrechts stehen die sog. „Verwerter“, also z.B. Verlage, Zwischenhändler und Einzelhändler, die abgeschafft gehörten. Statt dessen wird ein Verwertungsmodell vorgeschlagen, das den direkten Weg vom Künstler zum Kunden sucht, unter Umgehung von „Verwertern“. Ich habe 30 Jahre meines Lebens bei solchen „Verwertern“ gearbeitet, in Buchhandlungen und im Verlag. Mir drängt sich daher der Eindruck auf, dass die Kritiker des Urheberrechts gar nicht wissen, was diese „Verwerter“ eigentlich den ganzen Tag lang so tun – außer die Autoren auszupressen natürlich.

Gepriesen wird gerne die Möglichkeit des „Selfpublishing“, die das Internet ja in der Tat bietet. Der Autor, die Autorin könne veröffentlichen, was er/sie wolle und die Rechte an den Texten blieben bei den Urhebern. Feine Sache, aber wo ist das Lektorat, wo ist die Presse? Gut, man kann sich der Dienste freier Lektoren bedienen, allerdings machen die den Job auch nicht umsonst. Und die Presse? Fehlanzeige. Kein Journalist wird sein Augenmerk auf das Buch eines Selfpublishers richten. Und, mit Verlaub, wer glaubt schon den 5-Sterne-Amazon-Besprechungen für E-Books von Selfpublishern. Auch scheint es mir kein vielversprechendes Geschäftsmodell zu sein, sein E-Book bei Amazon für € 0,99 zu verscherbeln, mal ganz abgesehen von der Geringschätzung der eigenen Leistung. Diese E-Books dienen aber möglicherweise als Marketingmaßnahme in eigener Sache; auf dass das nächste Buch bei einem bösen Verwerter erscheint, der dann im besten Fall sogar einen Vorschuss bezahlt.

Lektorat, Presse und Propaganda

In guten Verlagen ist das Lektorat die Seele des Geschäfts. Ohne Lektorat kein guter Text und kein gutes Programm. Ich möchte keine Texte lesen, die nicht lektoriert sind, auch nicht von vermeintlich anerkannten Autorinnen und Autoren. Aber solche Autoren sind bei den Selfpublishern ohnehin nicht zu finden. Und ich kenne keinen Autor, der seinem bösen Verwerter den Rücken kehren würde um seinen Kram ab sofort alleine zu machen. So hat er nur einen Ansprechpartner, seinen „Verwerter“, den Verlag. Als selbst publizierender Einzelkämpfer hätte es unser Urheber plötzlich mit unzähligen potentiellen und tatsächlichen Partnern zu tun. Welcher Künstler will das schon? Andererseits ist ein Debütant heutzutage in der Pflicht, in eigener Sache zu trommeln, selbst wenn er einen Verlag gefunden hat. Wer mit seiner ersten Publikation auf Seite 18 der Verlagsvorschau erscheint, kann nicht davon ausgehen, dass der Verlag noch groß die Werbetrommel rührt und für unseren Debütanten viel Geld in die Hand nimmt. Aber um die Publikation und den Vertrieb muss er/sie sich nicht mehr kümmern. Vielleicht gelingt es dem Verlag auch, eine Lesereise zu organisieren und die Presseabteilung macht ein paar Journalisten auf den Debütanten aufmerksam, wer weiss. Aber die Propagandamaschine muss der hoffnungsfrohe Autor schon selbst anwerfen und sich dazu in das sog. „Social Web“ begeben. Ausreden wie „dafür hab ich keine Zeit“ oder „das bringt doch nichts“ gelten da nicht. Die Zeit muss man sich nehmen und dann bringt es auch was. Es gibt genügend Beispiele auch renommierter Autorinnen und Autoren, die ein eigenes Blog pflegen und Twitter, Facebook und Co. trefflich für sich selbst zu nutzen wissen. Verlage sollten ebenfalls in der Lage sein, jungen Autoren den Umgang mit den neuen Medien schmackhaft zu machen nach dem Motto: „OK, wir drucken Dein Buch, setzen es in die Vorschau, unsere Vertreter stellen es dem Handel vor und vielleicht gelingt es uns, die eine oder andere Lesung für Dich zu organisieren. Und selbst wenn Dein Buch sich nicht so gut verkauft, freuen wir uns auf Dein nächstes Manuskript, denn wir glauben an Dich (so etwas nennt man Autorenpflege). Den Rest musst Du aber selber machen und dabei unterstützen wir Dich gerne“. Allerdings kenne ich keinen Verlag, der sich diesen Servicegedanken schon zu eigen gemacht hätte.

Sollte die Autorin, der Autor, mit dem Verlag, der sein Debüt veröffentlicht hat, aus irgendwelchen Gründen unzufrieden sein – was durchaus vorkommt – wird sie/er sich einen anderen Verlag suchen. Die Alternative wird nicht sein, zu sagen: Na gut, dann mache ich meinen Kram jetzt alleine. Auch würde mich mal interessieren, wieviele der sog. Selfpublisher sich lieber doch in die Klauen eines dieser bösen Verwerter begeben würden.

Raubdrucke – das große Geschäft

Ich bin jetzt ein bißchen abgeschweift, aber irgendwie hängt ja alles mit allem zusammen. Urheberrechtsverletzungen gibt es, seit es ein einheitliches, international gültiges Urheberrecht gibt. Wenn man in den siebziger-achtziger Jahren, z. B. in Berlin-Kreuzberg in eine Kneipe ging, konnte man sicher sein, dass irgendwann im Laufe des Abends jemand mit einem Arm voller Raubdrucke vorbei kam. Anfangs waren das noch politische Texte, die für den antiautoritären politischen Kampf für wichtig gehalten wurden, Texte von Bakunin oder Landauer etwa. Diese Bücher waren oft verboten oder nirgendwo sonst zu bekommen. So war George Batailles Schrift „Das Blau des Himmels“ eine zeitlang ausschließlich als Raubdruck erhältlich, ebenso wie Klaus Manns „Mephisto“-Roman. Manch einer dieser Raubdrucke ist sogar zu einem begehrten Sammlerartikel geworden, Arno Schmidts „Zettel`s Traum“ etwa.

Es dauerte aber nicht lange bis sich die fliegenden Händler auf ein besser verkäufliches Sortiment spezialisierten. Die Bakunins, Landauers und Batailles wurden ersetzt durch Umberto Eco, Isabel Allende und Michael Ende. Die Politik wurde vom Kommerz verdrängt. Und das Geschäft lief gut. Nie habe ich es erlebt, das die Raubdrucker eine Kneipe verließen, ohne nicht mindestens 3-4 Bücher verkauft zu haben. Immerhin, es wurde offenbar gelesen. Meine Umgebung musste sich allerdings meine Tiraden gegen diese schamlosen Geschäftemacher, diese „Diebe geistigen Eigentums“ anhören.

Geklaute Musik

Heute allerdings gehöre ich auch zu diesen „Dieben“. Nicht was die Literatur angeht, ich habe (noch) keinen eReader und fliegende Händler mit einem Arm voller Raubdrucke habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Was aber die Musik angeht, so ist mein Umgang mit geistigem Eigentum doch deutlich lockerer.

Ich habe noch nie einen Song illegal aus dem Netz gezogen. Allerdings habe ich einen Freund, nennen wir ihn „Jott“, der das durchaus tut. „Jott“ ist ein Maniac, sein Flur ist gesäumt von stabilen Metallregalen, darin reihen sich ca. 10000 LPs aneinander, eine Ecke des Wohnzimmers wird dominiert von kleineren Regalen, die ein paar tausend CDs beherbergen. Und dann gibt`s da noch die externe Festplatte. „Jott“ hat das größte Musikarchiv, das ich kenne. Wenn ich ihn 2-3 mal jährlich besuche kann ich mich selten, nein nie, beherrschen. Mein USB-Stick ist immer voll, wenn ich „Jott“ verlasse. Einen Großteil dieser geklauten Musik kenne ich nicht und hätte ich daher auch nicht gekauft, es sind also Entdeckungen. Gerne folge ich dabei „Jotts“ Empfehlungen. Musik, die ich nicht kannte, weil sie im Radio nicht vorkommt oder weil mich niemand darauf aufmerksam gemacht hat. Musik, die ich dann kaufe, auf Vinyl (jawoll) oder als MP3. All das ändert nichts an der strafrechtlichen Relevanz, aber ohne „Jott“ hätte ich viele Sachen niemals kennengelernt und würde kein Geld für Platten oder Konzerte der jeweiligen Musiker ausgeben. Ich gebe jetzt nicht weniger Geld für Musik aus als früher, ohne „Jotts“ Fundus, eher im Gegenteil. Und die Musik, die ich jetzt gespeichert habe, hätte ich mir niemals kaufen können und wollen. Allerdings gehören körperliche Tonträger ohnehin bald der Vergangenheit an. Vielleicht gibt es noch ein paar Nerds, die Platten aus Erdöl kaufen, aber das Gros der Musik wird künftig wohl über Streaming-Dienste gehört, bei denen man für ein paar Euro im Monat Zugriff auf ein Musikarchiv erhält, gegen das das von „Jott“ Pipifax ist. Damit hätte sich dann auch das Problem mit illegalen Downloads erledigt.

Also, auch ich gehe eher leger mit dem Urheberrecht, das ich verteidige, um. Wenn man sich dann auch regelmäßig bei Twitter, Facebook und Co rumtreibt, verletzt man das Urheberrecht sowieso ständig, auch wenn man das oft gar nicht so genau weiß.

Und wenn ich ab und an mal eine Anthologie herausgebe, bei der die Vorgabe des Verlags aus Kostengründen lautet, einen Großteil der Geschichtensammlung mit gemeinfreien Texten zu bestücken, dann ärgert es mich schon gelegentlich, auf den einen oder anderen Text verzichten zu müssen, weil die Siebzig-Jahres-Frist noch nicht verstrichen ist.

Wenn ich also auf die drei Kategorien der „Zeit“ zurückkomme, dann gehöre ich wohl zu den sog. „Moderatoren“. Irgendwas muss sich ändern und das liegt zwischen „Alles bleibt wie es ist“ und „Ersatzlos streichen“.