Spaziergangstagebuch 10

Ein Rundgang vom Ernst-May-Platz über den Röderbergweg zum Main. Auf der Sachsenhäuser Seite bis Alte Brücke. Weiter über Römerberg zum Markt an der Konstablerwache und zurück nach Bornheim.

13.08.2022

Ein heißer Tag, Sonne, Wolken. Unterm Dach wird’s ungemütlich, daher Schuhe schnüren, Hut auf, herumgehen, Kopf lüften. Es ist Samstag, Markttag an der Konstablerwache. Ich wähle einen Lieblingsspaziergang, der sehr abwechslungsreich ist. Aber auch länger. Doch das spielt keine Rolle. Beim Gehen gibt’s keine Umwege.

An der Wittelsbacher Allee zwei geschmückte Wagen, die sich im Laufe des Nachmittags zusammen mit anderen zum Umzug der Bernemer Kerb formieren werden. Es ist Eröffnungstag der Kerb, die nach zwei Jahren der Unterbrechung wieder gefeiert werden soll. Ein Mann brüllt in sein Telefon, ein anderer schiebt ein rotes Motorrad. Am Röderbergweg, dieser schönen Straße am Hang oberhalb des Ostparks, sind kaum Menschen unterwegs. Das bleibt so bis zum Main. Platanen treiben aus. Erstmals fällt mir in der Nähe des Zoos die St. Nicolai Kirche auf. Wikipedia verrät, dass sie im Stil der Neoromantik Anfang des letzten Jahrhunderts gebaut wurde. Der Turm steht unter Denkmalschutz. Sie gefällt mir. Die Baugrube neben der Kirche liegt brach. An der Gedenkstätte zur Deportation der Frankfurter Juden (siehe auch Spaziergangstagebuch 3) an der EZB bleibe ich immer wieder stehen und lese die bewegenden Sätze im Boden. Die Vergangenheit holt mich ein. Was für ein unendliches Leid an diesem Ort geschah und heute gehe ich dort entspannt spazieren. Wir können uns nicht sicher sein, dass das auch so bleibt. Vertrocknetes Gras säumt den Weg.

Ich überwinde meine Höhenangst und gehe auf der Deutschherrnbrücke über den Main nach Sachsenhausen. Unter der Eisenbahnbrücke eine kleine Party. Technoklänge schallen über das Gelände, bis sie vom Rattern einer Regionalbahn übertönt werden. Ein Ausflugsschiff, Menschen auf „Wasserfahrrädern“, der Pegel des Mains sieht noch nicht besorgniserregend aus. Am Deutschherrnufer findet ein Japanisches Kulturfest statt. Das will ich mir ansehen. Weiße Plastikplanen begrenzen das Gelände, ein Zeltgebirge ragt über die Barriere hinaus. Es wird anscheinend Eintritt verlangt, eine lange Schlange am Einlass. Eine hermetische Veranstaltung. Ich gehe weiter. Auf der Frankfurter Seite, am Ende der Ignaz-Bubis-Brücke, das Literaturhaus im Kontrast zum Schwesternheim des Hospitals zum heiligen Geist. Bis zum Ende des Wiederaufbaus der ehemaligen Frankfurter Stadtbibliothek und dem Einzug des Literaturhauses 2005 ist das Schwesternheim nicht weiter aufgefallen. Jetzt könnte der Kontrast kaum größer sein. Als mir erstmals das brutalistische Hochhaus auffiel war mein erster spontaner Gedanke: Abreissen! Mittlerweile hat sich mein Blick verändert und ich denke beim Anblick dieses Gebäudes über Hässlichkeit und ihre Funktion für die Stadt nach. Gedanken, die vertieft werden müssen, aber ich bin sicher, dass Hässlichkeit in Städten eine wichtige Funktion hat. Wollen wir in Städten leben, die so aussehen wie die „Neue Frankfurter Altstadt“? Ich sicher nicht.

Mit diesen Gedanken gehe ich weiter und wechsle über die Alte Brücke. Hier fällt linkerhand ein sehr schönes, schmales Gebäude mit spitzem Dach auf, der Portikus. Die Fassade dieser Außenstelle des Frankfurter Städel Museums ist in traditionellem rotbraunem Sandstein gehalten. Ein typischer, stadtbildprägender Baustoff in Frankfurt. In diesem Haus wird jungen Künstlerinnen und Künstlern die Gelegenheit gegeben, ihre Arbeiten zu präsentieren. Der Eintritt ist frei. Auch ein Tipp für alle, die am Main unterwegs sind und ein Bedürfnis verspüren. Dort gibt es eine Toilette und die ist sauber. Ein älterer Mann mit freiem Oberkörper, Dutt und Skateboard auf dem Gepäckträger seines Damenrads, radelt vorbei. Aus einer Box am Rad dröhnt Musik, itˋs a wonderful world. Am anderen Ende der Brücke grüßt auf der rechten Seite überlebensgroß Karl der Große. Er tut dies mit Schwert. Das ist bemerkenswert, denn oft wird das Schwert geklaut, was ihm den Spitznamen Karl ohne Schwert einbrachte. Der Schaden hielt sich dabei in Grenzen, der Karl auf der Brücke ist eine Kopie. Das Original steht im Historischen Museum.

Das Caricatura Museum bewacht den Dom. Zwei Einkaufswagen, gefüllt mit allerlei Spielgerätschaften für den freien Gebrauch, mitten auf dem für Autos gesperrten Mainkai, fallen auf. Niemand spielt zu dieser Stunde. Etwas weiter vollführten einige Skater ihre Kunststücke und weisen auf ihr Anliegen hin. Den Eingang zur Stadt markiert das Historische Museum, ein Hingucker, eine Wohltat für die Augen, dieses Gebäude. Ein Besuch lohnt immer. Auf dem Römerberg eine Kundgebung von Falun Gong. Die Neuen Altstadt bevölkert von Touristen. „Das ist aber schön geworden.“. Schnell weg. Ich quere die Braubachstraße, die in den letzten Jahren an Aufenthaltsqualität enorm gewonnen hat, seit dort Parkplätze zugunsten von Gastronomie, Bänken und Fahrradständern wegfielen. Es fehlen allerdings einige Bäume. Den einzigen Schatten spenden die Schirme der anliegenden Gastrobetriebe.

Beim Gang durch die Kleinmarkthalle mit ihrem verlockenden Angebot und den provinziellen Öffnungszeiten (Werktags bis 18 Uhr, Samstags bis 16 Uhr) hole ich mir etwas Kühlung. Die Weinstube des Rollanderhof im ersten Stock ist gut gefüllt, ebenso wie der Vorplatz, der Liebfrauenberg. Dicht an dicht stehen die Menschen, Sekt und Wein in der Hand. Oder auch einen chönen „Apfel-Champus“ für nur 5,- €. Am Regionalladen wird eins meiner Bücher feilgeboten. Ich habe nie einen Pfennig Honorar dafür gesehen. Weit bis zum Markt an der Konstablerwache ist es von hier aus nicht mehr. Zumindest Donnerstags und Samstags ist dies der schönste Ort Frankfurts. Zunächst jedoch führt der Weg über die Töngesgasse, vorbei an einem mächtigen, und häßlichen, Gebäude, dem Parkhaus an der Konstablerwache. Riesige Häuser in bester Innenstadtlage, für Autos, nicht für Menschen. Da stimmt was nicht. Auf dem Dach wird gefeiert. Und bei diesem Gebäude relativiere ich meinen Wunsch nach umgehenden Abriss nicht. Das ist destruktive Hässlichkeit. Dazu passt, dass der Gehweg vor dem Parkhaus vollgemüllt ist mit diesen elektrischen Krücken für Fußlahme.

Endlich der Markt. Ich stärke mich beim Bauer Stranz mit einem Handkäsbrot und einem frisch gepressten Apfelsaft. Den Salat dazu gabˋs gratis. Es folgt ein leckeres Odenwälder Bier. Dann der Heimweg nach Bornheim. Der Tag endete in netter Begleitung auf der Bernemer Kerb mit Rock ˋn Roll. Der Wermutstropfen war, dass meiner Begleitung, während sie ausgelassen auf Tisch und Bank tanzte, der Geldbeutel aus dem Rucksack geklaut wurde.*

* Der „geklaute“ Geldbeutel ist wohl wieder aufgetaucht.