Ein schöner Tag

Es war Donnerstag und die Sonne schien. Ich verließ Schreibtisch und Laptop, zog bequeme Schuhe an und und begab mich auf einen ausgedehnten Spaziergang in Richtung Innenstadt. Das mache ich regelmäßig, meistens Donnerstags, gelegentlich auch am Samstag. Dann nämlich traue ich mich, die Konstablerwache zu betreten, diesen Vorhof zur Hölle, auch Zeil genannt. Es gibt Frankfurter, die stolz darauf sind, seit Jahren nicht mehr in der Frankfurter Innenstadt gewesen zu sein. Sie verweilen lieber in ihren Quartieren, im Gallus etwa oder in Ginnheim. Ich kann es verstehen auch wenn ich mich nicht dazu zähle. Aber fangen wir oben an.

Klabunt.

Klabunt.

Ich gehe die Berger Straße stadteinwärts, diese Einkauf- und Vergnügungstraße, die zur Zeit einen Umbruch erlebt. Nachdem der Elektrogroßmarkt den Standort aufgegeben hat – das Haus wird abgerissen – und das benachbarte Billigkaufhaus ebenfalls schließt, wächst der Leerstand an der Berger. Aber es geht schon in Bornheim Mitte los. Linkerhand steht noch die Kultgasttätte Klabunt, die aber mittlerweile geschlossen ist. Am 30. März war Schluß. Bald kommt die Abrissbirne und macht dem mittlerweile weit über die Stadtgrenze hinaus bekannten Lokal den Garaus. Es soll für etwas weichen, daß die Frankfurter Neue Presse „Quartiersparkhaus mit Einkaufsmarkt und Wohnungen“ nennt. Die Bauaufsicht spricht von 29 Wohnungen, einer Einkaufsfläche und einer Tiefgarage. Wie auch immer, es muß mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Vor einigen Jahren ist ein Versuch gescheitert, das kleine Gebäude unter Denkmalschutz stellen zu lassen. Allerdings hat Denkmalschutz noch nie allzuviel bewirkt im Konflikt mit Investoreninteressen, wie das Zürich-Haus an der Bockenheimer Landstraße beweist. Nach Eigentümerklagen wurde dem Gebäude, dem ersten Hochhaus in Frankfurt, der Status eines Kulturdenkmals wieder entzogen. Daraufhin konnte es abgerissen werden.

Die Berger Straße ist in diesem oberen Abschnitt so eng, daß man sich wundert, daß dort überhaupt Autos fahren dürfen. Das geht zu Lasten der Fußgänger, die auf den engen Gehwegen nur mühsam voran kommen.

Ich gehe trotzdem weiter.

Die Blasenteebude zur Linken hat nicht lange durchgehalten. Wie eine Seifenblase geplatzt ist der Bubble-Tea-Boom – und das macht ja ein wenig Hoffnung. Diese wird allerdings durch immer mehr leerstehende Läden gedämpft. Noch vor wenigen Jahren war es fast unmöglich, auf der Berger Straße einen Laden zu bezahlbaren Konditionen zu mieten. Das dürfte sich jetzt geändert haben. Und es wird wahrscheinlich noch schlimmer. Rechterhand lockt das Billigkaufhaus mit Ausverkaufrabatten. Das Haus soll einem Neubau weichen,
wahrscheinlich einer Quartiersgarage mit Einkaufsmarkt und Wohnungen. Dasselbe gilt für das weiter stadteinwärts gelegene Gebäude in dem der Elektronikhändler untergebracht war. Es werden hochwertige Wohnungen für die Bediensteten der nahegelegenen Europäischen Zentralbank gebraucht.

Südlich der Höhenstraße wird es vorwiegend gastronomisch und vegan. Ein veganes Restaurant ist im Bau, ein veganer Muffinladen bereits eröffnet. Überhaupt ist die Berger Straße ein Paradies für Veganer. Im oberen Teil ergänzen ein Supermarkt und ein veganer Metzger das Angebot. Unweit, an der Seckbacher Landstraße und der Dörtelweiler Straße haben vor kurzem in direkter Nachbarschaft zwei vegane Restaurants eröffnet. Es heißt abzuwarten, ob all diesen Läden das Schicksal der Bubble-Tea-Bude erspart bleibt.

Merianplatz

Merianplatz

Ich erreiche den Merianplatz und da steht dann dieses Ding. Auf den ersten Blick erschließt sich sein Zweck nicht. Das Ding sieht aus wie ein – ja was? Ein Zylinder, ein Kolben, irgendwas aus einem Automotor, nur viel größer. Aber ich habe keine Ahnung, kenne mich nicht aus mit Automotoren. Beim Näherkommen erkennt man Wasser, das träge und lustlos die glatte Edelstahlhaut hinabrinnt. Oben stehen Tauben und nehmen ein Fußbad. Aha, ein Brunnen. Frankfurt ist kein guter Ort für Kunst im öffentlichen Raum.

Weiter geht`s zur Konstablerwache. Wie gesagt, es ist Donnerstag, also Markttag. Nur an diesen Tagen, Donnerstag und Samstag, ist die Konstablerwache erträglich. Dann wird das öde Plateau verdeckt von bunten Marktständen, die allerlei regionale Köstlichkeiten feilbieten. Ich esse eine Bio-Bratwurst aus der Rhön und trinke einen Schoppen. Derweil spuckt die Zeil fröhliche junge Menschen, bepackt mit braunen Papiertaschen voller Billigklamotten, die sie dort zusammengerafft haben, auf die Konstabler. Auf der Kurt-Schumacher-Straße rauscht vierspurig der Verkehr vorbei.

Gestärkt setze ich meinen Weg fort, es zieht mich zum Main. Am Römerberg, dieser Fotokulisse, wird geheiratet, musiziert, geschaustellert und salzgesäult. Touristen fotografieren. In zwei Jahren finden die Besucher unweit weitere Fotomotive, die an eine historische Altstadt erinnern sollen. Zwischen Schirn und Braubachstraße wächst ein Neubaugebiet aus dem Boden, das die Frankfurter Altstadt, die 1944 bei einem Bombenangriff zerstört wurde, möglichst originalgetreu rekonstruieren soll. Das sogenannte Stadthaus, von dem niemand weiß, für was es gut sein soll, erhebt schon seine massive Gestalt und läßt vom Dom nurmehr die Turmspitze sehen. Zur Schirn bleibt ein schmaler, dunkler Durchgang. Die Touristen wird es nicht stören.

Der Eiserne Steg trägt schwer an tausenden von sogenannten Liebesschlössern, diesem Unfug, der sich überall breitmacht und niemanden so erfreut wie die Schlosser-Innung. Würden sich all diese Liebesbeweise selbsttätig öffnen und in den Main versenken, wenn die ewige Liebe doch nicht so ewig war, dann wäre das Frankfurter Wahrzeichen weniger entstellt. Die Passanten scheint das nicht zu stören, es wird auf Teufel komm raus musiziert, fotografiert und geknutscht. Eine Zwanzigjährige nutzt den Aufzug um sich das Treppensteigen zu ersparen.

Ich nehme die Treppe und spaziere am Sachsenhäuser Ufer entlang in Richtung Maincafé. Zum Glück ist Donnerstag. An schönen Wochenenden trifft sich hier ganz Frankfurt – dann wimmelt es von Radlern, Joggern, Skatern, Spaziergängern und Hunden und ein Durchkommen wird fast unmöglich. An solchen Tagen gilt es das Mainufer zu meiden. Aber es ist Werktag und so finde ich einen Sitzplatz im Maincafé, diesem vielleicht schönsten Ort der Stadt. Ich trinke einen Kaffee und schaue der Skyline beim Wachsen zu. Östlich der Untermainbrücke, in allerbester Gegend mitten in der Stadt, entsteht ein Luxusquartier, gekrönt von einem Sechzigmeterturm und sicherlich unterkellert mit einem Quartiersparkhaus für die SUVs der künftigen Bewohner. Auf einen Einkaufsmarkt wird verzichtet.

Ausgeruht mache ich mich auf den Heimweg.

Das Klabunt ist zu

Am Sonntag war es also soweit, das Klabunt sagte tschö. Nach neun Jahren muß die Kultkneipe für etwas weichen, das die Frankfurter Neue Presse „Quartiersparkhaus mit Einkaufsmarkt und Wohnungen“ nennt. Investor Gaumer hingegen hält sich bedeckt was seine Pläne für das Gelände angeht und die Bauaufsicht spricht von 29 Wohneinheiten, einer großen Einzelhandelsfläche und einem Parkhaus. Wenn es irgendwas gibt, an dem in Bornheim kein Mangel herrscht, dann sind es Supermärkte, egal ob konventionell, bio oder vegan. In unmittelbarer Nähe der künftigen „Quartiersgarage“ finden sich allein derer drei. Was auch immer dort gebaut wird, es darf getrost mit dem Schlimmsten gerechnet werden.
Seit zwei Jahren schon hing dieses Damoklesschwert über dem Lokal. Das Klabunt bewegte sich auf unsicherem Terrain, ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen.
Der Satirelandgasthof (Eigenbeschreibung) war mehr als eine Kneipe, er war eine kulturell-kulinarische Institution – bekannt weit über Frankfurts Grenzen hinaus – vielen auch Heimat und Wohnzimmer. Es gibt Menschen, die behaupten, alles was sie in Frankfurt kennen würden, hätten sie dem Klabunt zu verdanken. Ich zum Beispiel.
Als ich im Januar 2000 aus Berlin nach Frankfurt kam, kannte ich nur wenige Leute, sie wohnten in Offenbach. Dort wohnte ich auch während der ersten drei Monate. Als ich eine Wohnung in Bornheim fand, erkundete ich die Gegend auf der Suche nach einem Lokal, das ich zu meiner Stammkneipe machen könnte. Ich probierte einige aus, auch im Nordend – und fand keine. In Kreuzberg hatte ich immer eine Stammkneipe. Solche Kneipen müssen fußläufig erreichbar sein, ein vernünftiges Preisleistungsverhältnis haben, die Musik darf nicht nerven und vorallem müssen Personal und Publikum nett sein. Man geht dort hin, in der Gewissheit irgend jemand zu treffen, den man kennt, und man geht dort hin, wenn man mal pleite ist und anschreiben lassen kann. Stammkneipen sind unerläßlich um sich irgendwo wohlzufühlen, ein Stück Heimat eben. Das fehlte mir während meiner ersten Jahre in Frankfurt.
Bis im Jahre 2005 das Klabunt eröffnete. Zirka zwei Wochen nach der Eröffnung war ich mit einem Freund erstmals da. Es war ein schöner Sommertag, wir setzten uns draußen an einen Biertisch. Das Essen war reichlich und lecker, das Bier schmeckte auch. Wir waren sehr satt und verlangten zur Verdauung Wodka. Wodka sei nicht im Angebot, sagte der Wirt, er würde uns was anderes bringen, wir sollten gespannt sein. Er brachte, wie konnte es anders sein, Haselnussgeist von Dirker und noch was anderes, Himbeerbrand wahrscheinlich. Beides war köstlich. Der Haselnussgeist hat sich dann auch zum absoluten Bestseller des Klabunt entwickelt. Manche gingen dort nur hin um diesen Schnaps zu trinken. An diesem Abend war meine Suche nach einer Stammkneipe beendet.
Es dauerte nicht lange und man begrüßte sich mit Namen. Auch kam man schnell mit anderen Gästen in Kontakt, aus einigen sind Freunde geworden.
Und dann gab es noch die regelmäßigen Satirelesungen aus dem Umfeld der Titanic und darüber hinaus. Einige der Autoren, die im Klabunt gelesen haben, kamen am Sonntag um sich von Christa Brill, Andreas Kramer und ihrem Klabunt zu verabschieden – Eckard Henscheid, Oliver Maria Schmitt, Leo Fischer, Pit Knorr, Tilman Birr, Elis, Mark-Stefan Tietze, um nur ein paar zu nennen.
Zu der einen oder anderen Veranstaltungen konnte ich organisatorisch beitragen, so bei einer Lesung mit Wolfram Koch, der aus Magnus Mills „Die Herren der Zäune“ las, einem meiner Lieblingsbücher. Später folgten dann Abende mit Detlef Kuhlbrodt, Wolfgang Welt und Andreas Maier.
Am letzten Abend war es natürlich nochmal sehr voll, manche der Gäste waren wohl auch zum ersten Mal da. Sehr schnell war die Küche ausverkauft, dann war der Haselnussgeist und der Apfelwein alle, bald darauf auch das Schlappeseppel. Dann wurde halt getrunken, was noch da war.
Jetzt ist es vorbei. Und doch gibt es keinen Grund zur Trauer. Der neue Ort ist bereits gefunden. Dort wird renoviert und im Mai soll die Eröffnung sein. Und bis es soweit ist, gehen wir halt woanders unseren Schoppen trinken.

Nachtrag: Der Name der Gaststätte sorgte stets für Verwirrung, nicht zuletzt wegen der eigenwilligen Typographie. Er war einerseits ein Wortspiel aus KLAA und BUNT – was das Lokal trefflich charakterisierte – sowie eine Hommage an den Satiriker und Zeitgenossen Tucholskys, Klabund. An das „d“ in des Autors Synonym erinnerte ein kleiner Kringel im „t“ des Kneipennamens, wie am Außentransparent zu sehen war. Das führte zu allerlei Verwirrung bezüglich Aussprache und korrekter Schreibweise. Da wurde schon mal vom „Klabunat“ gesprochen oder „Klabundt“ und „Klabund“ geschrieben. Richtig ist und war: KLABUNT.

 

 

 

17. Feb. 2014

Es gibt diese Tage, an denen nichts gelingen will. Heute ist so ein Tag. Nichts von dem, was ich mir vorgenommen hatte, ist erledigt. Alles was ich heute geschafft habe, ist eine Pinterest-Seite für einen Verlag anzulegen und dort ein paar Pinwände einzurichten. Diese sind freilich noch nicht bestückt. Natürlich hat es unerwartete und unerklärliche Schwierigkeiten beim Einrichten der Seite gegeben. Sowas passiert an solchen Tagen. Es war nicht das erste Mal, daß ich eine Pinterest-Seite angelegt habe, aber so kompliziert war es noch nie.

Bauplatz an der Berger Straße

Bauplatz an der Berger Straße

Die Bagger kommen dem Klabunt in der Berger Straße immer näher. Das marode Gebäude auf dem Nachbargrundstück ist schon so gut wie abgerissen und es wird wohl nicht mehr lange dauern bis die Abrissbirne dem legendären Lokal auf die Pelle rückt. Angekündigt ist das allerdings schon seit zweidrei Jahren. Dann kommt auf das Gelände eine schicke Tiefgarage (auf daß es zu noch mehr Verkehr in Bornheim kommt), obendrauf ein Einkaufszentrum (wahrscheinlich mit den üblichen Verdächtigen Starbucks, HM, McDonalds etc. Was halt in so einem Einkaufszentrum in der Regel zu finden ist). Gekrönt wird das Ganze dann mit schicken Apartements. Also lauter Zeug, das wir in Bornheim dringend brauchen. Der Eigentümer und Bauherr ist der stadtweit bekannte Investor Heinrich Gaumer, der über Jahre einen Neubau an Stelle des ehemaligen Kaufhofs in der Leipziger Straße in Bockenheim leerstehen ließ.

Immerhin das Wetter war schön heute. Ich hätte laufen sollen, aber nicht mal dazu hat es gereicht. Wie gut, daß solche Tage auch vorbei gehen.

Gaststätte Weida – Im blauen Bock

Abschiedskarte1

Collage von Gerhard Pauly

Oft bin ich vorbeigefahren an diesem schmucklosen Platz im Frankfurter Stadtteil Bornheim. Längst stillgelegte Straßenbahnschienen und vielbefahrene Straßen machten aus der Kreuzung Saalburg-, Heide- und Neebstraße einen ungastlichen Ort. Auch das an der Saalburgstraße gelegene Lokal erweckte nicht den Eindruck, als sei es noch bewirtet. „Gaststätte Weida – Im Blauen Bock“ stand über der Eingangstür geschrieben. Graffiti zierte die Wände und Butzenscheiben verwehrten den Blick ins Innere des Wirtshauses.

Das schöne Buch „Beim Apfelwein“ (B3 Verlag, Frankfurt, 2008) verstärkte meine Zweifel. Der Autor Michael Tetzlaff schildert dort seine fünf vergeblichen Versuche, der „Gaststätte Weida“ einen Besuch abzustatten. Und doch schien es sicher, dass die Weida tatsächlich meistens geöffnet hatte und ihre Gäste bewirtete. Gerüchte machten die Runde, Gerüchte von der eigenwilligen Wirtin, die ihre Gäste nach Sympathie behandelte und den üblichen gastronomischen Gepflogenheiten so gar nicht zu folgen bereit war. Fremde könnten es dort schon mal schwer haben. Gleichzeitig wurde die Qualität der Küche gelobt.

Eines Tages lernte ich am Tresen der unweit gelegenen Gaststätte Klabunt den Herrn K. kennen. Der Herr K. war jemand, der tatsächlich in der Weida verkehrte und dort als der „Herr Micha“ bekannt war. Er lobte die Küche überschwänglich. Ich bat ihn, mich mal mitzunehmen in das mysteriöse Lokal, allein würde ich mich nicht reintrauen. Wir beschlossen das demnächst zu tun.

Die Kreuzung war mittlerweile zu einem tristen und namenlosen Platz umgestaltet, mit viel Beton, einigen Bänken und einer Handvoll Bäume, als ich erstmals die „Gaststätte Weida – Im Blauen Bock“ betrat. Ich wähnte mich umgehend in einem Museum, einem Kneipenmuseum. Hier zeigte sich jahrzehntelange Apfelweintradition, in den Bildern an der Wand, in dem Nippes, der überall herumstand, der absurden Ansammlung von Kleiderhacken an den holzgetäfelten Wänden. Die Deckenlampen waren von rustikaler Scheußlichkeit. Zusammengehalten wurde dieses volkstümliche Sammelsurium von der Wirtin.

Frau Wolf war eine stattliche Frau in weißer Kittelschürze, das üppige, rotgefärbte Haupthaar zu einem Dutt gewölbt, auf dem bei Bedarf auch die Brille stabilen Halt fand. Der Empfang des neuen Gastes war freundlich, wohl weil der „Herr Micha“ ihn begleitete. Es wurde Apfelwein bestellt, den ich nicht vertrug. Fürderhin blieb ich beim Bier. Das ging so lange gut, bis mir Frau Wolf bei einem meiner zahlreichen späteren Besuche ungefragt einen Bembel hinstellte. Widerstand war zwecklos und seitdem vertrug ich das Weida`sche Stöffsche auch. In der Weida wurde gegessen und getrunken, was auf den Tisch kam, und das war nicht unbedingt immer das, was man bestellt hatte. Auch musste der Gast Zeit mitbringen, wenn er die Weida besuchte. Frau Wolf ließ es sich nie nehmen, auf einen Plausch bei den Gästen Platz zu nehmen und den einen oder anderen Witz zu erzählen. Da musste manche Bestellung schon mal warten.

Die Speisekarte offenbarte keine Überraschungen. Deftige Hausmannskost war im Angebot, meistens mit Fleisch oder Wurst, Grüne Soße in allen Variationen. Vegetarier hatten es hier schwer, obwohl auch für Fleischverweigerer etwas zu finden war. Ich habe mich im Laufe der Zeit durch die Speisekarte gegessen. Alles war köstlich und der Spruch „Wie bei Muttern“ sollte geändert werden in „Wie in der Weida“. Der gelernte Metzgermeister Günter Wolf stand in der Küche und bereitete diese Köstlichkeiten zu. Es hieß, früher hätte er auch noch selbst geschlachtet.

Viele Geschichten und Anekdoten ranken sich um die Weida, die des weißen Frotteebademantels etwa. In der Herrentoilette stand eine Kleiderstange mit vielen Bügeln. Auf einem dieser Bügel hing ein weißer Frotteebademantel. Auf die Frage, woher dieser stamme, bekam man die Antwort, den hätte vor vielen Jahren ein Gast vergessen. Seitdem hing dieses Relikt auf der Kleiderstange in der Weida`schen Herrentoilette, wurde auch regelmäßig gewaschen. Eines Tages jedoch, es ist noch nicht allzu lange her, hing der Bademantel nicht mehr an seinem angestammten Platz. Auf Anfrage erzählte Frau Wolf die Geschichte einer Gruppe ihr unbekannter Männer, eines Junggesellensabschieds, die über das „Innernet“ („mir habbe des ja net“) in die Weida gefunden hätte. Es wurde ordentlich gegessen und getrunken, bis jemand aus der Gruppe – es konnte nicht ausbleiben – in den Bademantel gekleidet, von der Toilette zurück kam. Er bot € 100,- für das gute Stück. Das wollte die Frau Wolf dann aber doch nicht annehmen. Schließlich hätte die Gruppe die Zeche dann auf den nächsten Hunderter aufgerundet und durfte das Frotteesouvenir mitnehmen. So ging dieses unscheinbare Stück Weida`scher Geschichte für ca. € 39,20 über den Tresen. Es war, als hätte man die Quadriga vom Brandenburger Tor geschraubt.

Vielleicht war der Verkauf des Bademantels aber auch schon ein kleiner Schritt in Richtung Abschied. Vor über fünfzig Jahren hat Brigitte Wolf erstmals in der Gaststätte ihrer Eltern mitgeholfen, später dann mit Ihrem Ehemann Günter Wolf die „Gaststätte Weida – Im Blauen Bock“ geführt und damit ein Stück Frankfurter Gastronomiegeschichte geschrieben. Manch einer der weißhaarigen Gäste hat über all diese Jahre seinen Schoppen bei den Wolfs getrunken.

Ende Juli waren die Stammgäste geladen, um an zwei Abenden Abschied von den Wirtsleuten und ihrer „Gaststätte Weida – Im blauen Bock“ zu nehmen. Für lächerliche zwölf Euro durfte man trinken und essen was die Küche noch hergab. Zum Schluss wurden Autogramme verteilt.

Der Abschied verlief ohne Wehmut. Die Wolfs haben einen Nachfolger gefunden, der den Charakter der Weida nicht verändern will. Angesichts der sich überall epidemisch ausbreitenden Läden, die kalten Fisch, gefrorenen Joghurt oder Blasentee feilbieten, hat er einen wichtigen Job zu erledigen. Viel Glück!

Und dem Ehepaar Wolf kann man nur danken für fünfzig Jahre „Gaststätte Weida – Im blauen Bock“ und noch schöne, erfüllte und stressfreie Jahre wünschen.

Streetart oder Die Stadt als Museum

Sie sind aus unseren Städten nicht mehr wegzudenken, diese Zeichen der Kreativität und der Phantasie. Sie kleben auf Regenrohren, Telefonkästen, Verkehrsschildern oder Hauswänden und sind aus Papier, Klebefolie oder Filz gefertigt, oder werden über Schablonen gesprüht. Diesen oft rätselhaften Symbolen, Comics oder Slogans sind zwei Dinge gemein – sie sind vergänglich und sie transportieren die Frage „Wem gehört die Stadt?“. Die Künstler hinter diesen Werken sind unbekannt, selbst die großen „Stars“ der Szene, wie Banksy, legen größten Wert auf ihre Anonymität. Aber alle eint ihr Engagement für die Stadt als Lebensraum, ihre Kunst ist Ausdruck der Aneignung des städtischen Raums.

Wer durch die Stadt hetzt, zu Fuß, per Fahrrad oder gar mit dem Auto, wird diese flüchtigen Zeichen in der Regel übersehen. Für den Flaneur jedoch sind diese Ikonen der Urbanität Lohn und willkommener Anlaß innezuhalten.

 

Aber natürlich ist der Begriff von der Stadt als Museum im Zusammenhang mit Streetart völlig fehl am Platze. Museen haben die ehrenvolle Aufgabe zu sammeln, zu bewahren, zu archivieren und zu zeigen. Museen sind Bunker der Erinnerung und des Wissens. Streetart hingegen ist flüchtig, vergänglich und nicht konservierbar. Sie entzieht sich somit dem Zugriff der Museen. Die Stadt als Galerie wäre wahrscheinlich der treffendere Ausdruck, das klingt aber nicht so gut. Ich lasse es also wie es ist. Die Stadt als Museum – des Flüchtigen.

 

Die alltägliche Überwachung


Diese Ampelanlage steht nicht in der Nähe des Kanzleramtes, der amerikanischen Botschaft oder sonst einem gefährdetem Objekt. Nein, diese Ampelanlage mit der Überwachungskamera wurde unlängst an einem Fußgängerüberweg in Frankfurt Bornheim, Saalburgstraße / Berger Straße, installiert. Was läßt sich da überwachen? Die Bornheimer, die mittwochs oder samstags mit vollen Einkaufstaschen vom Wochenmarkt zurückkehren, oder die Ausgeh- und Amüsierwilligen, die in die Bars, Cafes, Apfelweinwirtschaften und Restaurants der oberen Berger Straße strömen. Wird man jetzt gefilmt, wenn man bei Rot die Straße kreuzt, während Kinder mit ihren Eltern darauf warten, dass die Ampel auf Grün schaltet. Obwohl man das besser unterläßt, lautstarke Verfluchungen seitens empörter Passanten sind einem im Sündenfall sicher. Vielleicht soll auch die Revolution überwacht werden, die dort gelegentlich ihren alten Hanomag parkt und die Ladefläche nutzt um klassenkämpferische Parolen zu skandieren. In englischen Städten wurden nach den kürzlich ausgebrochenen Krawallen Fotos von Beteiligten an öffentliche Monitorpranger gestellt. Diese Bilder wurden von Überwachungskameras im öffentlichen Raum aufgenommen. Erwartet man dergleichen auch in Frankfurt und will vorbereitet sein? Auszuschliessen ist, dass die Überwachungsanlage dazu dient, Autofahrer zu ermitteln, die trotz roter Ampel den Fußgängerübergang kreuzen (ein in Frankfurt recht weit verbreitetes Autofahrervergnügen). Dazu hätte die Obrigkeit eine Blitzanlage installieren müssen. Die freilich gibt es dort nicht.

Ich werde also fürderhin darauf achten, mich an dieser Fußgängerampel noch vorbildlicher als ohnehin zu verhalten. Eventuell öffne ich auch meine Einkaufstasche, um jeden noch verbleibenden Restverdacht auszuschliessen. Wir sind alle verdächtig.

Der Jaja

Diese Geschichte ist schon ein paar Jahre alt, einige Details stimmen nicht mehr. Das ist nicht so tragisch, tragischer ist, daß die Person, um die es hier geht, schon seit Monaten nicht mehr gesehen wurde. Wir machen uns Sorgen. Deshalb habe ich die Geschichte vom Jaja nochmal ausgebuddelt.

Der Jaja

Jeden Freitag, pünktlich um 18 Uhr 45, betritt der Jaja das Klabunt. Ich sitze am Tresen, trinke mein Wochenendbier und der Jaja setzt sich ebenfalls an den Tresen. Er tut dies nicht meinetwegen, er weiß gar nicht wer ich bin oder wie ich heiße. Es weiß auch niemand, wie der Jaja heißt.
Aber der Jaja weiß wie der Wirt heißt.
„Der Andreas soll ma widder runner komme“, so sprach der Jaja heute. „Runner“ ist ein Ort, an dem es einen Thomas gibt.
„Grüße vom Thomas, gell!“
Der Jaja ist Handlungsreisender in Sachen Grußübermittlung, ein Grußhausierer. Unverlangt, zuverlässig und pünktlich trägt er Grüße von oben nach unten und von unten nach oben. Jeden Freitag überbringt er Grüße vom Thomas für den Andreas. Die durchdringende Stimme, mit der er dies tut, steht in seltsamem Kontrast zu seiner traurigen Gestalt.
Der Jaja ist ein dünner Mann unbestimmten Alters, mit schütterem Haar und einer silberfarbenen Kassenbrille. Sommers trägt er eine kurze helle Stoffhose, die ehemals eine lange, sicher noch hellere Stoffhose war, sowie ein T-Shirt, das vor vielen Jahren mal neu war. Die kurze Hose offenbart dünne, krampfadrige Beine, die in Turnschuhen stecken. Was sich in dem Stoffbeutel befindet, den er stets bei sich trägt, weiß nur er alleine.
Den Namen der Wirtin des Klabunt kann sich der Jaja nicht merken. Sie ist schlicht „die Frau“ oder „die Scheffin“.
„Scheffin, isch trink heut ma `n Kaffee.“ Das ist nicht überraschend, der Jaja trinkt immer Kaffee, niemals Alkohol. Stets verlangt er auch nach mehr als dem einen, zum Kaffee gereichten, Keks. Es entgeht ihm dann auch nicht, wenn plötzlich, von Freitag zu Freitag, die Kekssorte gewechselt wurde.
„Des sinn aber annere als letztes Ma. Klaaner sinn se auch. Schmegge tun se abber genauso.“ So sitzt er dann zufrieden mit seinem Kaffee und seinen vier Keksen am Tresen und gibt hin und wieder ein deutlich vernehmbares „ja, ja“ von sich. So kam der Jaja zu seinem Namen.
Der Unterschied zwischen einem Profigrüßer wie dem Jaja und einem Amateur wie mir liegt auf der Hand. Der Profi lässt sich seine Dienste bezahlen.
„Scheffin, gibste mer ma zwei Euro!“
Das Klabunt ist auf diese freitägliche Forderung vorbereitet. Auf der Zapfanlage steht ein Puppenstubenbembel. Darin landet all das „rote Geld“, die Ein-, Zwei- und Fünfcentmünzen, die seltsamerweise auch in einem Wirtshaus anfallen. Manchmal verirrt sich auch eine größere Münze in den winzigen Bembel. Nach einem groben Überblick über den Ertrag stopft sich der Jaja zufrieden die handvoll Münzen in die Hosentasche und verlässt nach zwanzig Minuten das Lokal, nicht ohne die Ermahnung, der Andreas solle mal wieder runner komme. Der Kaffee und die Kekse gehen aufs Haus. Wie jeden Freitag.
Niemals käme der Jaja auf die Idee, an einem anderen Tag als dem Freitag die Grüße vom Thomas zu überbringen. Ich habe ihn schon an anderen Tagen am Klabunt vorbeigehen sehen. Nie hatte er auch nur einen Blick für das Wirtshaus übrig. Unbeirrt zog er seines Wegs.
Gerne wüsste ich wie viel Grüße der Jaja wöchentlich so übermittelt und wer die jeweiligen Absender und Empfänger sind. Manchmal sehe ich ihn, wie er das „China Bistro Fröhlich“ gegenüber vom Klabunt betritt. Wen grüßt er dort und von wem? Die Entlohnung dürfte aber auch im „China Bistro Fröhlich“ die selbe sein, zwei Euro, eine Tasse Kaffee und vier Kekse, so das „China Bistro Fröhlich“ Kekse zum Kaffee reicht. Vielleicht gibt es auch chinesische Glückskekse.
Auch ist mir nicht bekannt wann der Jaja beim Thomas die Grüße für den Andreas abholt. Aber wahrscheinlich erfolgt die Übergabe folgendermaßen:
„Der Thomas soll ma widder nuff komme. Grüße vom Andreas, gell!“

Ich habe die Revolution gesehen

Mein samstäglicher Einkaufsspaziergang führte mich nur zum mittleren Bio-Supermarkt. Für den unteren war das Wetter zu unfreundlich, 5°C, Nieselregen. Kein verlockendes Spazierwetter und der Gang zum unteren und retour kostet mich ca. 75 Minuten. Das erschien mir bei diesem Wetter zu lang. Der Weg zum mittleren benötigt etwa die Hälfte der Zeit. Es gibt noch einen oberen Markt, doch die Strecke dorthin ist zu kurz um als Spaziergang gelten zu können.
Auf meinen Einkaufsspaziergängen versuche ich stets zu vermeiden, den selben Weg zurück zu gehen, den ich auch für den Hinweg gewählt habe. Und so kam es, daß ich die Revolution gesehen habe – nein, zuerst habe ich sie gehört. Kurz vor der ehrenwerten Gaststätte Weida hörte ich laute, aber noch unbestimmte Musik aus Richtung Prüfling. Ich schaute nach Nordosten und sah die Revolution kommen, sie war alt und sah aus wie ein Karnevalsverein. Die Revolution war in einem alten, blauen Hanomag LKW aus dem Verkehrsmuseum unterwegs und es hätte mich nicht gewundert, wenn sie die revolutionären Massen mit Bonbons beworfen hätte. Die Musik der Revolution von heute ist die selbe wie die der Revolution von damals – Das Solidaritätslied. Das unterscheidet die Revolution von einem Karnevalsverein. Auf der Pritsche des Hanomag standen nicht ganz so viele Personen wie auf dem Tahrir-Platz in Kairo, es waren genau vier. Sie trugen rote T-Shirts mit der Aufschrift „Klassenkampf statt Weltkrieg“. Keine schlechte Alternative, wenn man keine andere hat. Die Pritsche des Hanomag wurde von vier roten Fahnen gesäumt, in jeder Ecke eine, geteilt wurde sie von einem Transparent mit der selben Forderung, die auch die roten T-Shirts zierte.
Das, vom Fußvolk gereichte, 4-seitige Flugblatt nahm ich gerne entgegen. Die Revolution firmiert demnach unter dem Namen „ARBEITS- UND KOORDINIERUNGSAUSSCHUSS der ersten Arbeiter- und Gewerkschafterkonferenz gegen den Notstand der Republik“ und setzt sich ein für eine „Welt der Arbeiter“. Immerhin, auf die Hilfe einer Marketingagentur hatte die Revolution verzichtet.
Und dann trennten sich auch schon unsere Wege. Die Revolution folgte der Saalburgstraße in Richtung Offenbach, ich folgte der Heidestraße in Richtung mittlerer Bio-Supermarkt.
Dort war es wie immer, Kinder fuhren mit den kleinen Einkaufswagen Rallye durch die Gänge, sofern diese nicht durch nachlässig abgestellte Einkaufswagen ihrer Eltern blockiert waren.
Der Rückweg führte mich über den samstäglichen Markt auf der Berger Straße am sog. „Uhrtümchen“. Auch dort war es wie immer, belebt und eng. Bei einem vertrauenswürdigen Bäcker kaufte ich ein großes Stück Streusselkuchen und bei der Kräutertante ein Tütchen Salbeibonbons, meiner Alltagsdroge. Die Revolution hatte mir diese ja vorenthalten. Eine blonde Frau verteilte Rosen und einen Flyer als Werbemaßnahme für einen Kosmetiksalon in Seckbach. Ich bekam keine, gehörte nicht zur Zielgruppe, ebenso wenig wie die alte Dame mit dem Rollator, deren Forderung „Isch will aach so e Roos“ ungehört verhallte.
Als ich mich durch die Massen auf dem Markt gekämpft hatte, stand ich an der Saalburgstraße plötzlich wieder vor ihr, der Revolution. Sie hatte den Hanomag dort geparkt, auf der Suche nach den Massen, denen ich gerade glücklicherweise entronnen war. Um diese zu locken wurden schlicht gereimte klassenkämpferische Parolen skandiert, die von unkoordiniertem Getrommel abgelöst wurden. Die Revolution kam aus dem Takt. Ich zeigte mein kürzlich erworbenes Flugblatt als Passierschein und erntete ein verschwörerisches Lächeln des revolutionären Fußvolks.
Froh, wieder Gehwege erreicht zu haben, auf denen sich spazieren ließ, setzte ich meinen Heimweg fort. Es begegneten mir noch ein paar Eintrachtfans, auf dem Weg, sich eine weitere Niederlage abzuholen.
„Vorwärts und nicht vergessen“ singend, packte ich zu hause meine Einkäufe aus.

Wie ich zweimal versuchte Mitglied der Partei, Die PARTEI, zu werden – vergeblich.

Sehr geehrter Herr S.,

ich wollte ja nie in eine Partei eintreten. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig und nachvollziehbar. Das ich es dennoch tat, besser versuchte, – und das gleich zweimal – hat ebenfalls mannigfaltige und nachvollziehbare Gründe. Zum Einen sind in meinem bevorzugten Stammlokal, dem Satirelandgasthof Klabunt zu Frankfurt am Main, Bornheim, mehr oder weniger fast alle Stammgäste und das Servicepersonal Mitglieder der Partei, Die PARTEI, nette Menschen allesamt. Und der Wirt dieses Lokals, der Herr K., ist ja wohl sogar Schatzmeister des Landesverbandes Hessen, dem Sie, verehrter Herr S., vorstehen. Zum Anderen wollte ich mich dann doch auch einmal als mündiger Bürger dieses Landes beweisen und an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Nicht zuletzt wollte ich nicht außen vorbleiben, sollte der Herr K. in seinem Lokal möglicherweise eines Tages 10% Rabatt auf Alles für Mitglieder der Partei, Die PARTEI, ausloben. Da wären die € 10,- Mitgliedsbeitrag per Anno gut angelegt, das können Sie mir glauben. Aber da der Herr K. ja ein ziemlicher Knauser ist, kann von solcherlei Vergünstigungen eher nicht ausgegangen werden. Auch konnte ich mich sehr gut in der schneidigen, grau-blau-roten Uniform vorstellen. Kurz, ich habe mich als elender Opportunist erwiesen – aber sind wir das nicht alle irgendwie.

Kurzum, die genannten Gründe, und wahrscheinlich 2 – 3 Hefeweizen, haben mich dazu bewogen, einen Mitgliedsantrag für die Partei, Die PARTEI, auszufüllen und dem Herrn K., mit der Bitte um Weiterleitung, persönlich in die Hand zu drücken. In den folgenden Tagen und Wochen öffnete ich stets voll freudiger Erwartung den Briefkasten, endlich den begehrten Mitgliedsausweis in den Händen zu halten. Denn, wir wissen es, je kleiner die Mitgliedsnummer, desto kürzer der Weg an die Fleischtöpfe der Macht.

Nichts geschah.

Ich durfte dann aber doch, eines Sonntagnachmittags, an dem sog. Landesparteitag der Partei, Die PARTEI, Landesverband Hessen, in genannter Gaststätte, teilnehmen. Ich hatte keinen Mitgliedsausweis, wurde aber kurzerhand, per Deklaration, zum Parteimitglied erklärt und war somit stimmberechtigt. Wenn das der Bundeswahlleiter wüßte.

Nun gut, dachte ich, kann ja mal passieren, dass so ein kleines Formular verloren geht, war sicher keine Absicht, und füllte einige Wochen später erneut ein Antragsformular auf Mitgliedschaft in der Partei, Die PARTEI, aus.

Ich weiß es noch wie heute, es war der 1. Nov. 2010. Die Mitglieder der Partei, Die PARTEI, hielten ihren monatlich Stammtisch im Klabunt ab, wie an jeden ersten Montag im Monat. Ich hatte dort für diesen Abend eine Lesung mit dem Autor Andreas Maier organisiert. Wahrscheinlich war ich etwas aufgeregt und versuchte mich abzulenken. Kurz, ich sprach Herrn J.S. an, den „politischen Geschäftsführer“ (was auch immer das ist) der Partei, Die PARTEI, Landesverband Hessen, an und erläuterte, nicht zum ersten Mal, mein Problem. Herr J.S. war vorbereitet und bat mich, doch einfach erneut einen Antrag auszufüllen, das würde dann sicher klappen. Die Zentrale in Berlin sei etwas überarbeitet gewesen in letzter Zeit. Ich könne auch gleich bei ihm die € 10,- Jahresbeitrag bezahlen. Ich tat wie gewünscht, fühlte mich abermals als politisch mündigen Bürger und erfreute mich an dem schönen Abend mit Andreas Maier.

Es war Die PARTEI selbst, die mich dazu brachte, diesen Brief zu schreiben. Gerade heute hat die Partei, Die PARTEI, Landesverband Hessen, via Twitter und Facebook einen Rundbrief erwähnt, der per Mail an die Mitglieder rausgegangen sei. Man möge sich melden, sollte die Mail nicht eingegangen sein. Das tue ich hiermit.

Offensichtlich habe ich den strengen Aufnahmekriterien der Partei, Die PARTEI, nicht entsprochen, denn bis heute habe ich keinen Mitgliedsausweis der Partei, Die PARTEI, erhalten. Von einer eventuellen Bescheinigung über eine geleistete Beitragszahlung, die steuerlich absetzbar wäre, mal ganz zu schweigen. Das ist nicht so tragisch, wurde ich doch schon von Damen abgewiesen, deren Zurückweisungen mich bedeutend schwerer getroffen haben, glauben Sie mir.

Gut, ok, die € 10,-, geschenkt. Sind wahrscheinlich in der schwarzen Kasse gelandet, die haben ja alle. Immerhin ist die Partei, Die PARTEI, die einzige Partei, die das auch zugibt. Schwerwiegender für mich wiegt der Umstand, nicht zu wissen, wie und wo ich denn meinen Austritt aus der Partei, Die PARTEI, Landesverband Hessen, erklären soll, bin ich doch, trotz zweimaligen Versuchs und geleisteter Beitragszahlung, noch immer kein Mitglied der Partei, Die PARTEI – oder doch?

Wenn ich Sie also, verehrter Herr S., bitten dürfte, mir auf irgendeine Art zu bestätigen, das ich kein Mitglied der Partei, Die PARTEI, Landesverband Hessen, bin, und auch nie war, dann wäre ich Ihnen sehr verbunden. Zumal es ja auch recht widersinnig wäre, einer Partei anzugehören, die man nicht wählen würde. Das gibt`s ja nur in der FDP.

Die € 10,- verbuchen Sie bitte als Spende.

Mit freundlichen Grüßen

Stefan G.