Mein samstäglicher Einkaufsspaziergang führte mich nur zum mittleren Bio-Supermarkt. Für den unteren war das Wetter zu unfreundlich, 5°C, Nieselregen. Kein verlockendes Spazierwetter und der Gang zum unteren und retour kostet mich ca. 75 Minuten. Das erschien mir bei diesem Wetter zu lang. Der Weg zum mittleren benötigt etwa die Hälfte der Zeit. Es gibt noch einen oberen Markt, doch die Strecke dorthin ist zu kurz um als Spaziergang gelten zu können.
Auf meinen Einkaufsspaziergängen versuche ich stets zu vermeiden, den selben Weg zurück zu gehen, den ich auch für den Hinweg gewählt habe. Und so kam es, daß ich die Revolution gesehen habe – nein, zuerst habe ich sie gehört. Kurz vor der ehrenwerten Gaststätte Weida hörte ich laute, aber noch unbestimmte Musik aus Richtung Prüfling. Ich schaute nach Nordosten und sah die Revolution kommen, sie war alt und sah aus wie ein Karnevalsverein. Die Revolution war in einem alten, blauen Hanomag LKW aus dem Verkehrsmuseum unterwegs und es hätte mich nicht gewundert, wenn sie die revolutionären Massen mit Bonbons beworfen hätte. Die Musik der Revolution von heute ist die selbe wie die der Revolution von damals – Das Solidaritätslied. Das unterscheidet die Revolution von einem Karnevalsverein. Auf der Pritsche des Hanomag standen nicht ganz so viele Personen wie auf dem Tahrir-Platz in Kairo, es waren genau vier. Sie trugen rote T-Shirts mit der Aufschrift „Klassenkampf statt Weltkrieg“. Keine schlechte Alternative, wenn man keine andere hat. Die Pritsche des Hanomag wurde von vier roten Fahnen gesäumt, in jeder Ecke eine, geteilt wurde sie von einem Transparent mit der selben Forderung, die auch die roten T-Shirts zierte.
Das, vom Fußvolk gereichte, 4-seitige Flugblatt nahm ich gerne entgegen. Die Revolution firmiert demnach unter dem Namen „ARBEITS- UND KOORDINIERUNGSAUSSCHUSS der ersten Arbeiter- und Gewerkschafterkonferenz gegen den Notstand der Republik“ und setzt sich ein für eine „Welt der Arbeiter“. Immerhin, auf die Hilfe einer Marketingagentur hatte die Revolution verzichtet.
Und dann trennten sich auch schon unsere Wege. Die Revolution folgte der Saalburgstraße in Richtung Offenbach, ich folgte der Heidestraße in Richtung mittlerer Bio-Supermarkt.
Dort war es wie immer, Kinder fuhren mit den kleinen Einkaufswagen Rallye durch die Gänge, sofern diese nicht durch nachlässig abgestellte Einkaufswagen ihrer Eltern blockiert waren.
Der Rückweg führte mich über den samstäglichen Markt auf der Berger Straße am sog. „Uhrtümchen“. Auch dort war es wie immer, belebt und eng. Bei einem vertrauenswürdigen Bäcker kaufte ich ein großes Stück Streusselkuchen und bei der Kräutertante ein Tütchen Salbeibonbons, meiner Alltagsdroge. Die Revolution hatte mir diese ja vorenthalten. Eine blonde Frau verteilte Rosen und einen Flyer als Werbemaßnahme für einen Kosmetiksalon in Seckbach. Ich bekam keine, gehörte nicht zur Zielgruppe, ebenso wenig wie die alte Dame mit dem Rollator, deren Forderung „Isch will aach so e Roos“ ungehört verhallte.
Als ich mich durch die Massen auf dem Markt gekämpft hatte, stand ich an der Saalburgstraße plötzlich wieder vor ihr, der Revolution. Sie hatte den Hanomag dort geparkt, auf der Suche nach den Massen, denen ich gerade glücklicherweise entronnen war. Um diese zu locken wurden schlicht gereimte klassenkämpferische Parolen skandiert, die von unkoordiniertem Getrommel abgelöst wurden. Die Revolution kam aus dem Takt. Ich zeigte mein kürzlich erworbenes Flugblatt als Passierschein und erntete ein verschwörerisches Lächeln des revolutionären Fußvolks.
Froh, wieder Gehwege erreicht zu haben, auf denen sich spazieren ließ, setzte ich meinen Heimweg fort. Es begegneten mir noch ein paar Eintrachtfans, auf dem Weg, sich eine weitere Niederlage abzuholen.
„Vorwärts und nicht vergessen“ singend, packte ich zu hause meine Einkäufe aus.
Monat: Februar 2011
Anna Calvi
Eine Diskussion, ähnlich der über eine Frauenquote in deutschen Führungsetagen ist in der aktuellen Popmusik überflüssig. Längst sind es überwiegend Frauen, die für die spannende zeitgenössische Musik sorgen. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen eine Julie Driscoll, Grace Slick oder Aretha Franklin Exotinnen in einer männerbeherrschten Musikwelt waren.
Tori Amos und P.J Harvey sind heute nicht mehr alleine. Ständig machen junge Frauen auf aufregende Weise musikalisch auf sich aufmerksam. Während Amy Winehouse sich nicht zwischen Rehab und Comeback entscheiden kann, kommt eine junge Frau aus London namens Adele daher und läuft dem Superstar den Rang als beste weiße Soulsängerin ab. Die kalifornische Komponistin und Sängerin Simone White fügt mit jeder ihrer ruhigen Platten der Musikwelt eine weitere Perle hinzu und wird dafür zu recht auch von der deutschen Kritik hochgelobt. Mit ihrer Mischung aus Neofolk und Robert Wyatt ersingen sich auch die britischen Unthank Schwestern eine stets wachsende Fangemeinde. Und was wäre eine Band wie The Duke Spirit ohne ihre Sängerin Liela Moss. Auch klassische Girlgroups wie die Puppini Sisters, die Pipettes oder das norwegische Frauenquartett Katzenjammer füllen heute die Clubs und Konzerthallen. Die Schweizerin Sophie Hunger ist mit ihrer Mischung aus Pop, Jazz, Chanson und schweizer Folklore sicher eine der auffälligsten Erscheinungen des zeitgenössischen Musikgeschehens. Einige dieser aufregenden Musikerinnen haben eine klassische Ausbildung absolviert. So ist die, mittlerweile in Detroit lebende, Shara Worden (My Brightest Diamond) ausgebildete Opernsängerin und die New Yorkerin Joan Wasser (Joan as Policewoman) hat sich bereits einen Namen als klassische Geigerin gemacht, bevor sie ins Popfach wechselte.
Zu dieser illustren und keineswegs vollständigen Liste muß jetzt der Name Anna Calvi hinzugefügt werden. Die Engländerin mit dem italienischen Vater musizierte einige Jahre im Verborgenen, bis sie von Brian Eno und Nick Cave entdeckt und gefördert wurde. Ob auch Anna Clavi eine klassische Musikausbildung absolviert hat, ist mir nicht bekannt. Wie dem auch sei, sie ist eine hervorragende Gitarristin und auf ihrem, vor wenigen Wochen erschienenen Debutalbum „Anna Calvi“ spielt sie auf manchen Stücken auch die Geige, den Bass oder die Orgel.
Das Cover dieses Albums verheißt Glamour und Sinnlichkeit. Die MySpace-Seite der Künstlerin verheißt „Tango“. Die Musik Anna Calvis hat tatsächlich etwas mit dem Tango gemein – den Pathos und die Melacholie. Ihre Songs sind spröde, sperren sich gegen einen allzu leichten Konsum. Darin erinnern sie durchaus an die große P.J. Harvey, die seit Jahren erfolgreich gegen den Mainstream schwimmt. Nach ihren Vorbildern gefragt, tauchen die immer selben Namen auf, Edith Piaf und Nina Simone zum Beispiel. Vorallem aber ist Anna Clavi eine weiterer Stern am Pophimmel, der hoffentlich noch lange leuchten wird.
Zur Zeit tourt Anna Calvi durch etliche europäische Clubs. Einige der Shows sind bereits ausverkauft.