Spaziergangstagebuch 11

Von Ernst-May-Platz zu den Schwanheimer Dünen.

Hochnebel tauchte die Stadt in ein herbstliches Grau. Es war mild. Kurze Zeit später klarte es auf. Perfektes Wetter für einen langen Spaziergang. Ich ging gewohnte Wege und freute mich an dem grünen und großzügigen Innenhof, durch den ich gerne gehe. Heute würde so wahrscheinlich nicht mehr gebaut. In meinem Quartier sind derartige Höfe jedoch noch häufig zu finden. Auch der Block in dem ich wohne gruppiert sich um einen großzügigen baumbestanden Hof, der allerlei Getier Heimat bietet. Am Uhrtürmchen trinke ich einen Cappuccino, er ist bitter. Wieso ist es so schwer, einen guten Kaffee zu bereiten? Baselitz hat gestrichen. Beim Lieblingswasserhäuschen Fein nehme ich noch einen Cappuccino, dazu ein Stück Birnen-Schokokuchen. Kraft tanken für den langen Spaziergang. Der Kaffee war gut, geht doch.

Die Sonne kommt heraus, ein herrlicher Tag, Goldener Oktober. Gestärkt setze ich meinen Weg Richtung Main fort. Auf dem Liebfrauenberg stehen Buden, Bratwurst und Schoppen. Einige Menschen bevölkern die Biergarnituren. Frankfurter scheinen das zu brauchen. Zeugen Jehovas werben am Paulsplatz für einen „kostenlosen Bibelkurs“. Passanten schlendern achtlos vorbei. Vor der scheinbar historischen Postkartenkulisse des Römerbergs recken etliche Sonnenanbeter bei Apfelwein und Rindswurst das sonnenbebrillte Gesicht himmelwärts. Eisener Steg, Mainufer. Es ist wenig Betrieb. Ich gehe westwärts und ärgere mich die Sonnenbrille vergessen zu haben. Überraschungen erwarte ich keine, zu oft bin ich schon diese Strecke mit dem Fahrrad gefahren.

Mein Ziel ist das Naturschutzgebiet Schwanheimer Düne ganz im Westen der Stadt. Oft bin ich mit dem Fahrrad an diesem Naturschutzgebiet vorbei gefahren, durchgelaufen bin ich noch nie. Das sollte sich endlich ändern. Ich gehe weiter, habe Zeit. Die wohltuende Wirkung des Gehens setzt ein. Es geht mir gut, wie immer beim Gehen. Auf der andern Mainseite, – hippdebach wie es in Frankfurt heißt. Ich gehe am Ufer auf der sachsenhäuser Seite, drippdebach – wächst das Hochhausensemble Four in den Himmel. In nicht allzu ferner Zukunft wird es die Skyline prägen.

Drei Männer, dicht gedrängt auf einem Elektroroller, fahren vorbei. Ich wünsche ihnen nichts Gutes. Kurz darauf sechs Fahrradrikschas, die mich gnädig stimmen.

Segelboote tanzen auf dem Main. Kurz zuvor bin ich eine Treppe zum Ufer hinab gestiegen, froh der Uferstraße entronnen zu sein. Ich setzte mich auf eine Bank in der Sonne, trinke Wasser und esse einen Apfel. Am anderen Ufer wird gehämmert, gebohrt und geschliffen. Kräne bewachen die Baustelle. Die Umgebung kommt mir vollkommen unbekannt vor, was mich wundert. Die Treppe jedoch, die ich kurz vorher hinabgestiegen war, habe ich mit dem Rad immer ignoriert. Wer zu Fuß unterwegs ist sieht mehr. Das hat sich jetzt wieder erwiesen. Ich bin im „Licht- und Luftbad Niederrad“, kurz „LiLu“, gelandet von dem ich schon gehört hatte es aber noch nicht gesehen. Ich dachte, auf dem Rad hätte ich es am Wegesrand bemerken müssen. Hatte ich aber nicht, jetzt war klar weshalb. Es gab also doch Überraschungen. Das Lilu ist ein einladender Ort. Eine große Wiese unter Bäumen. Vor einem geräumigen Pavillon, dem Ponton, eine hölzerne Terrasse. Darauf Stühle und Tische. Hat aber nur im Sommer geöffnet. Das alles direkt am Mainufer. Kunst aus Holzbohlen bereichert das Gelände.

Ich bin dankbar, den Ort gefunden zu haben. Es lohnt immer zu Fuß zu gehen. Ich nehme mir vor im nächsten Sommer dort gelegentlich Zeit zu verbringen. Erfreut gehe ich weiter, und finde mich in einer Sackgasse. Das LiLu liegt auf einer Halbinsel, die an einer runden Terrasse endet. Ich stütze mich auf das Geländer und schaue mainabwärts. Beim Gehen gibt es keine Umwege denke ich und kehre um.

Nach kurzem eine Treppe und eine kleine Brücke zur Straße hin. Und plötzlich fühle ich mich als hätte ich einen Schatz entdeckt. Links der Treppe liegt versteckt ein über und über bewachsenes Boot, eine Arche Noah für Pflanzen, das „Naturship, MS Heimliche Liebe“. Ohne meinen kleinen Umweg hätte ich das nie entdeckt. Schon jetzt hat sich mein Ausflug gelohnt.

Längs der Straße geht es weiter. Am Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt wienert ein Mann im grauen Pullover seinen SUV. Ein älterer Rollerfahrer schiebt sich mühsam den Weg entlang, am Lenker eine braune Papiertüte. Gänse schnattern im Tiefflug über das Wasser. Der Rest des Weges zieht sich, bleibt aber ereignislos. Wege, die ich kenne, die Griesheimer Schleuse. Der Herbst zaubert rote Girlanden ins Laub.

Dann Schwanheim. Ich weiß zwar wo etwa die Dünen sind, aber nicht wie ich da zu Fuß hinkomme und frage das Navi. Prompt nehme ich den falschen, längeren Weg. Aber egal. Bald stehe ich auf dem Bohlenweg, der durch die Düne führt. 1984 wurde sie zum Naturschutzgebiet erklärt. Entstanden ist die Düne vor 10000 Jahren als Folge der Eiszeit. Bis in die achtziger Jahre wurde dort Sand abgebaut. Die Gruben füllten sich anschließend mit Grundwasser und bieten seit dem Amphibien wertvollen Lebensraum. Auf dem kargen Sandboden der Düne gedeihen seltene Pflanzen. Ich lerne, Silbergras, Bauernsenf und Sand-Grasnelke, wohlklingende Wörter. Daneben bizarre Kiefern. Seltene und geschützte Tiere bevölkern die Düne, Eidechsen etwa.*

Ich gehe weiter, staune, schaue und fotografiere. Eine Meereslandschaft am Rande der Großstadt. Bald habe ich die Düne gequert, mein Ausflug nähert sich dem Ende. Zwei Orte habe ich kennen gelernt, an denen ich sicherlich nicht zum letzten Mal war, das LiLu und die Schwanheimer Düne.

Zum Abschluss steuere ich das Apfelweinlokal Mainlust in Schwanheim an. Ich brauche Stärkung, habe 20 km in den Beinen. Auf einer Brücke über die Schnellstraße, rasten ein Mann mit einem Kind und einem Säugling. Der Junge legt sich in die Sonne, als würde er den Lärm und den Gestank, der von der Straße ausgeht, genießen. Ich Schwanheim war kürzlich Kerb. Zeugen davon hängen noch am Kerbebaum. Nach 20 Minuten komme ich an der Gaststätte an. Viele Gäste sind noch nicht da. Ich setzte mich in den Garten, trinke Bier und Apfelwein, gegen den Hunger Schnitzel mit Brot. Die Tram der Linie 12 bringt mich schließlich nach Bornheim, es dauert fast eine Stunde. Ein schöner Ausflug hat sein Ende gefunden.

*Sämtliche Informationen zur Schwanheimer Düne hat mir das Internet verraten.

2 Gedanken zu „Spaziergangstagebuch 11

  1. Avatar von Martin Jahn

    Ich liebe solche Ausflüge. Und natürlich ist gehen viele schöner als radfahren. man bleibt doch öfter stehen, geht ins detail, schuat diese Blüte an, oder sieht, was sich in der Pfütze tut oder ähnliches. 20 km sind eine ordentliche Leistung, Respekt. Ich wünsche mir (und Dir, natürlich), das ich noch viele solche Geherlebnisse zu lesen bekomme.

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