Herbstlicher Spaziergang durch die Riederwaldsiedlung

In vergangenen Zeiten verband ich den Begriff Riederwald vor allem mit Eintracht Frankfurt. Der Verein spielt allerdings schon lange nicht mehr in diesem Stadion, das nicht mal im Stadtteil Riederwald liegt, sondern im benachbarten Seckbach. Schon seit Start der Bundesliga bestreitet die Eintracht ihre Spiele im größeren Stadion im Stadtwald, das Fans noch heute Waldstadion nennen, obwohl der Name längst verkauft wurde und einer großen Bank gehört. Hier sind auch die Trainingsplätze der Fußballer und vor kurzem wurde auch die neue Geschäftsstelle im Stadtwald eröffnet, die bis dahin tatsächlich noch am Riederwald beheimatet war. Heute dient das Stadion am Riederwald noch als Trainingsgelände für den Eintracht-Nachwuchs.

Es dauerte dann auch eine lange Zeit, bis ich zum ersten Mal durch die Riederwaldsiedlung spaziert bin, obwohl ich seit Jahren quasi in der Nachbarschaft wohne. Beim ersten Mal hielt ich auch vergeblich nach dem legendären Stadion Ausschau und war enttäuscht, es nicht zu finden. Dennoch war ich beeindruckt, hatte das, was sich mir bot, nicht erwartet. Ich nahm mir vor diesen Weg künftig häufiger zu gehen. Das habe ich durchaus getan, aber immer in Begleitung. Jetzt war es wieder soweit, diesmal alleine. Es war ein perfekter Herbsttag, einer dieser Tage, die gemeint sind wenn vom Goldenen Oktober die Rede ist. Ohnehin mein Lieblingsmonat, der Oktober. Also schnürte ich nach dem, wie immer späten Frühstück, meine Schuhe und spazierte los. Es ist nicht weit. Zum Ernst-May-Platz, dann zum Bornheimer Hang, vorbei am FSV Stadion und an der U-Bahn Station Johanna-Tesch-Platz über die Straße. Schon bin ich im Riederwald.

Die 1875 in Frankfurt geborene Johanna Tesch war Sozialistin, Frauenrechtlerin und Reichstagsabgeordnete der SPD. Seit 1933 lebte sie mit ihrem Mann, auch er SPD Mitglied, zurückgezogen in der Riederwaldsiedlung. 1944 wurde sie verhaftet und im KZ Ravensbrück interniert. Dort starb sie, kurz vor ihrem 70. Geburtstag, im März 1945 an den Folgen der Haft.*

Dass ich so viele Jahre brauchte, um erstmals die Riederwaldsiedlung zu erkunden hat wohl auch damit zu tun, dass sich die Siedlung hinter der viel befahrenen und lauten Straße mit dem idyllischen Namen Am Erlenbruch gleichsam versteckt. Die Fassaden zur Straße hin grau und rußig, die Fenster blind. Man möchte dort nicht wohnen. Ein unendlicher Strom von Autos, dazu die U-Bahnen der Linien 4 und 7 , sorgen für entsprechend schlechte Luft und Krach. Aber wer sich davon nicht abhalten lässt und dieses fast schon abgeschottete Gebiet dennoch betritt, findet sich in einer unerwarteten Welt. Als erstes fällt auf, dass sich die Rückseiten dieser grauen Häuser zu einem großen und begrünten Hof wenden, Balkone überall. Das relativiert den ersten Eindruck schnell. Schon während der ersten Schritte durch die Siedlung wird deutlich, wie ungeheuer grün dieses Gebiet ist. Bäume und Wiesen überall, immer wieder kleine grüne Plätze und ein großer Spielplatz. Nicht umsonst wird auch von der Gartensiedlung Riederwald gesprochen. Gegründet wurde sie 1910 als Arbeitersiedlung. Etliche der Bewohner arbeiteten beim nahe gelegenen Güterbahnhof. *

Bald fällt auch das erste typische Siedlungshaus auf mit seinem markanten Mansardendach. Eine Dachform, die sich durchzieht. Robuste, charaktervolle Häuser, ohne Balkone aber immer umgeben von Wiesen, Gärten, Wäschespinnen und mächtigen Bäumen. Nach ein paar Minuten fällt ein weiteres Charakteristikum dieser Siedlung auf, die Stille. Zunächst hatte ich sie „überhört“ aber dann wurde sie auffallend und natürlich sehr angenehm. Es gibt keinen Durchgangsverkehr, auch aus den Häusern dringt kein Laut nach draußen, als wollten diese Gebäude ihre Geheimnisse für sich bewahren, wie dem ersten Eindruck nach der gesamte Stadtteil. In der Schäfflestraße öffnet sich diese ruhige Wohngegend durch ein Torhaus der Umgebung. Das Kerngebiet der Siedlung, das von diesen Bauten dominiert wird, steht heute unter Denkmalschutz. Die Siedlung in der Friedrich-Liszt-Straße weiter östlich wurde Mitte der zehner Jahre von Christoph Mäckler saniert und umgebaut. Hier nun Balkone und Terrassen und natürlich auch wieder Gärten. Das Ensemble fügt sich gut in die Umgebung und ist mit einigen Reihenhäusern von Ernst May in bester Gesellschaft. Am östlichen Ende des Gebiets überspannt seit kurzem eine Fahrrad- und Fußgängerbrücke die Gleise des Güterbahnhofs. Sie endet an der Hanauer Landstraße. Dort mündet die Carl-Benz-Straße, die ausgeschilderte Radverbindung nach Offenbach. Für mich der direkteste und schnellste Weg in die Nachbarstadt. Eine sehr angenehme Wohngegend also, allerdings hat auch sie ihre Nachteile. Wer ein Bier trinken gehen will oder einkaufen muss, muss woanders hinfahren, ins Ostend oder nach Bornheim. Beides ist nicht weit.

Ich verlasse die Riederwaldsiedlung, vorbei am Gelände eines Geflügelzuchtvereins, einem türkischen Kulturverein sowie einer Kleingartensiedlung. Ein stolzer Hahn begrüßt mich. Der Wald, der so heißt wie die Siedlung, zeigt sich in herbstlicher Vielfalt. Ich folge dem ausgeschilderten, teilweise abenteuerlichen Radweg in Richtung Ostbahnhof, immer wieder erstaunt, wie die Radverbindungen in Frankfurt mittlerweile ausgeschildert sind, und lande, nach der Unterquerung der Autobahnbrücke, im Ostpark. Ich drehe noch eine halbe Runde. Bis vor einigen Jahren herrschte in diesem Park noch eine regelrechte Plage mit Nilgänsen. Wege und Wiesen waren verdreckt, es waren einfach viel zu viele. Irgendwie wurde es geschafft, die Tiere von hier zu vertreiben, so dass heute nur Graugänse zu sehen sind. Voller Eindrücke schlendere ich durch das Ostend nach Bornheim, quere vorher jedoch das Viertel rund um den Parlamentsplatz oberhalb des Ostparks. Grzimek soll hier irgendwo gewohnt haben. Nach 7.5 km war ich wieder zuhause. Ein schöner Spaziergang, vielleicht auch, weil die Eintracht am Vortag mit 1:2 bei Bayern München gewonnen hatte.

*alle Informationen aus dem Internet.

Spazieren an einem herrlichen Herbsttag

Jahrelang habe ich das Quartier zwischen Ostpark und Wittelsbacherallee, rund um den Parlamentsplatz, im Frankfurter Ostend buchstäblich links liegen gelassen, obwohl es zu meiner unmittelbaren Nachbarschaft zählt. Meine regelmäßigen und häufigen Wege führten mich immer in die andere Richtung, zum Günthersburgpark oder in das Nordend, gelegentlich auch durch die Berger Straße, aber immer Richtung Innenstadt. Bis ich vor einigen Monaten erstmals durch diese bisherige Terra Incognita spazierte. Es gefiel mir, unspektakulär, eine ruhige Wohngegend mit dem einen oder anderen interessanten Gebäude. Mein Frankfurt ist durch diesen Spaziergang etwas größer geworden.

Eigentlich hatte ich Lust auf einen faulen Tag zuhause, mit Lesen, Musik hören, Kochen. Das Wetter machte mir jedoch einen Strich durch die Rechnung. Der Tag empfing mich mit herrlichstem Herbstwetter, Sonne, strahlend blauer Himmel, klare Luft, recht kühl. Das lies mir keine Wahl, Schuhe schnüren, herumgehen, Kopf lüften. Nach wenigen Minuten spazierte ich zum zweiten Mal in diesem Jahr durch die Gagernstraße im Ostend. Auffallend die breiten Gehwege, ist in Fankfurt ja nicht allzu oft anzutreffen. Es waren nur sehr wenige Passanten unterwegs, ich konnte problemlos auf die Maske verzichten. Auch Autos störten kaum die Ruhe. Ich genoss die Stille und betrachtete die teilweise recht schmucken Häuser. Hinter dem unscheinbaren Parlamentsplatz wandte ich mich nach links, bei nächster Gelegenheit wieder nach rechts. Wenn ich irgendwo gerne wohnen würde, dann am Röderbergweg im Frankfurter Ostend und zwar in vorderster Reihe. Grzimek soll hier irgendwo gewohnt haben. Der Blick ist sensationell.

Blick nach Nord-Westen

Nach Süd-Osten schweift der Blick, über Offenbach und Hanau, bis zum Odenwald. Im Nord-Westen ist am Horizont der Stadtwald auszumachen und dort ragt tatsächlich der neue Goetheturm aus den Wipfeln. Dieses wahre Frankfurter Wahrzeichen, das von Idioten abgefackelt wurde und jetzt endlich wieder nachgebaut ist. Mein Frankfurt ist wieder komplett. Und an den alten Turm habe ich noch reichlich Kindheitserinnerungen, die kann mir niemand abfackeln. Selbst den Geruch nach Harz und Holz habe ich noch im olfaktorischen Gedächtnis. Das allerdings wird der neue nicht können, noch nicht. Ich muss ihn mir auf jeden Fall bald aus der Nähe ansehen. Und dort, am Röderbergweg, habe ich ihn erstmals wieder gesehen. Mein Herz hüpfte vor Freude.

Immer der Nase nach, durch bislang unbekanntes Gebiet, vorbei an der schönen, mir bislang aber unbekannten Luxemburgerallee, landete ich bald am Ostbahnhof.

Luxemburgerallee

Und dort, ich hatte davon gelesen und natürlich wieder vergessen, eine Wagenburg. Alte Camping- und Bauwagen standen dicht gedrängt am Bahndamm. Unmittelbar fühlte ich mich nach Berlin und Kreuzberg zurückversetzt. Das wurde verstärkt durch Transparente mit dem Besetzerzeichen und vertrauten Forderungen „Frankfurt besetzen“. Außerdem „Ihr baut Mist“ (o.s.ä.). Angesichts der benachbarten Neubauten eine nachvollziehbare Bemerkung. Ich war begeistert von meinem Spaziergang, hatte so viel Neues gesehen in kurzer Zeit.

Wagenburg

Weiter zum Main. An der Osthafenbrücke wieder der Goetheturm, jetzt etwas größer.

Osthafenbrücke mit Goetheturm

Auch am Mainufer war es kein Problem auf die Maske zu verzichten, es waren nur wenige Leute unterwegs. Ich spazierte der untergehenden Sonne entgegen und konnte mich nicht satt sehen am Licht und den herbstlich leuchtenden Bäumen.

Mainufer

Auf der gegenüberliegenden Mainseite das Literaturhaus Frankfurt, dahinter der Schwesternwohnturm des Hospitals zum Heiligen Geist, der das Literaturhaus fast erdrückt. Dieses, tatsächlich unansehnliche, Gebäude hat mich dazu gebracht, über Hässlichkeit in der Stadt nachzudenken. Meinen früheren, spontanen Gedanken ABREISSEN! überdenke ich mittlerweile. Ich habe gelernt, dass auch diesen Gebäuden mit Respekt begegnet werden muss. Stadt braucht Hässlichkeit. Vielleicht irgendwann mehr dazu.

Literaturhaus mit Turm des Hl. Geist Hospitals

Weiter am Main, die Skyline bestimmt das Bild. Ich wechsle jedoch über die Alte Brücke auf die andere Seite, von Dribbdebach nach Hibbdebach. Dort steht sie wieder, am angestammten Platz, die Statue Karls des Großen, in Sandstein. Es handelt sich um eine Kopie, das Original befindet ich im wunderbaren Historischen Museum. Der Original-Karl ist wohl auch noch im Besitz eines Schwerts, was der Doppelgänger nicht von sich behaupten kann. Das Schwert, das Karl auf der Brücke stolz und auch durchaus Respekt fordernd, himmelwärts richtete, war wohl ein beliebtes Souvenir. Daher wurde der Kaiser regelmäßig entwaffnet, letztmals im August 2020. Und so steht er da, der stolze Kaiser, ähnlich dem Ritter der Traurigen Gestalt, als „Karl ohne Schwert“ (Michael Quast).

Karl ohne Schwert

Durch die Wallanlagen spaziere ich zurück gen Bornheim, den Kopf voller Bilder und Gedanken, und erstmals in den zwanzig Jahren, die ich jetzt hier lebe, denke ich, wie interessant, abwechslungsreich, spannend und durchaus aufregend diese kleine Stadt doch sein kann.

Wallanlage

In Bornheim ging ich in meiner Kneipe ein Bier trinken (ich darf das, ich arbeite da und habe einen Schlüssel) und blickte auf einen wundervollen Tag zurück.