Bockenheim schreibt ein Buch

BockenheimDieses Buch ist vor wenigen Tagen im Frankfurter Verlag Mainbook erschienen. Von mir ist ein launiger Text enthalten. Ich habe nie in Bockenheim gewohnt, aber eine Zeitlang dort gearbeitet. Es war eine Scheißzeit mit Arschlöchern. Aus juristischen Gründen verkneife ich mir die Nennung von Klarnamen. So mußte halt der Stadtteil dran glauben. Und ja, ich weiß, daß in Bockenheim auch nette Menschen wohnen, sehr nette.

Hier nun eine frühe Fassung meines Textes, die in dieser Form nicht im Buch enthalten ist.

Ödland

Man braucht gute Gründe um nach Bockenheim zu fahren, einen Job beispielsweise oder Freunde, einfach so tut man das nicht. Es gibt keinen Grund. Das Beste an Bockenheim ist die Lage zwischen Niddapark und Messe. Messe und Nidda sind wirklich sehr schnell erreichbar.

Bockenheimer Landstraße

Wer, aus Bornheim kommend, mit dem Rad nach Bockenheim fährt, muß einige schwere Prüfungen bestehen. Durch das Nord- und Westend läßt es sich noch ganz entspannt radeln, aber plötzlich steht der Palmengarten quer und zwingt einen auf die Bockenheimer Landstraße und in das Grauen. Das Grauen ist zirka einen Meter breit, etwa zehn Zentimeter über Straßenniveau, rechtsseitig von Blumenkübeln und Pollern begrenzt, linksseitig von steinernen Riegeln, und nennt sich Radweg. Selbstverständlich ist es unmöglich dort zu überholen und so findet sich der zielstrebige Radler oft hinter Senioren im Schrittempo, kurz vor dem Umfallen. Es bleibt nur die Straße oder der Gehweg, was gelegentlich zu wüsten Beschimpfungen führt. „Sorry“, möchte man dann rufen, „ich habe diesen scheiß Radweg nicht gebaut.“. Hat man endlich die Unibibliothek erreicht, ohne in Höhe der KfW von zum Essenfassen kreuzenden Bankern über den Haufen gerannt worden zu sein, geht die Unbill weiter. Der gewundene, für Fußgänger unsichtbare, Weg leitet einen in Richtung einer Kreuzung, die von der Bockenheimer Warte bewacht wird. Visavis lädt das ehrenwerte Wirtshaus Doktor Flotte zur Rast. Hier wird es nun völlig absurd. Einen zirka zwei bis drei Meter breiten Gehweg müssen sich Fußgänger und Radfahrer teilen. Der Radweg ist selbstverständlich nicht farblich abgehoben und so sieht ihn auch niemand, was zu einem fröhlichen Durcheinander führt. Wem sein Leben wert ist, der meidet all diese Zumutungen und fährt auf der Straße. Da gehören Radfahrer ja auch hin. Das gilt selbstverständlich auch für den Rückweg, wenn man nach erledigtem Tagwerk erleichtert die Bockenheimer Enge wieder verlassen kann.

Leipziger Straße

Aber noch sind wir nicht angekommen. Gleich nach Doktor Flotte wird man in die Leipziger Straße geführt und wundert sich umgehend, daß dort Autos fahren dürfen. In der Leipziger ist definitiv kein Platz für Autos, Radfahrer und Fußgänger. Der Gehweg nicht breiter als der Radweg an der Bockenheimer. An entspanntes Flanieren ist hier überhaupt nicht zu denken. Die Leipziger ist die Haupteinkaufsstraße Bockenheims, die Hauptstraße sozusagen, sowas wie die Berger Straße in Bornheim, mit dieser aber überhaupt nicht vergleichbar. Erst vor wenigen Jahren wurde über das Kopfsteinpflaster eine Lage Asphalt gegossen. Man hätte gleich eine Fußgängerzone draus machen sollen. Wäre auch billiger gewesen.
Das bereits erwähnte Lokal Doktor Flotte nennt sich selbst Alt-Berliner-Wirtshaus. Hier wird sich also gleich am Entree zu Bockenheim distanziert, als wolle man mit all dem nichts zu tun haben. Und dennoch wird hier gejubelt, wenn die Eintracht Hertha schlägt und nicht andersrum. Etikettenschwindel allüberall.
Auch sonst hat Bockenheim nicht viel zu bieten. Interessant wird es dann, wenn was wegkommt, wie der Uniturm, dessen Sprengung man sogar live im Fernsehen verfolgen konnte. So mußte man schon nicht hinfahren, was ja eine echte Erleichterung ist.

Gastronomie

Auch gastronomisch ist Bockenheim eher Ödland. Weit und breit keine gescheite Apfelweinkneipe. Binding allüberall. Wer sich durch die Leipziger quält, vorbei am anarchistischen Exzess, bis ganz nach hinten, da wo die Leipziger schon gar nicht mehr so heißt sondern irgendwie anders, findet linkerhand das schlichte und sympatische Wirtshaus Heckmeck. Dort läßt es sich recht gut einkehren. Oder auch im Casa Nostra, wenn man den Kellerverschlag endlich mal gefunden hat. Das war`s aber auch schon mehr oder weniger.
Vielleicht deshalb wurden im Flotte Pläne geschmiedet, Perspektiven entwickelt, Pakte geschlossen, Produkte entwickelt. Und die Pleite geplant. Die folgte wenige Jahre später mit einem Arschtritt an sakralerem Ort. Nein, Bockenheim hat mir kein Glück gebracht. Gelegentlich gab es auch entspannte Momente, etwa wenn die schöne Freundin, die genauso heißt wir die Straße in der sie wohnt, zu Pasta und Rotwein lud. Entspannt saßen wir in lauen Sommernächten auf dem Balkon, tranken Rotwein, beobachteten Vögel, Eichhörnchen und Flugzeuge und erzählten, was uns in den letzten drei Monaten wiederfahren war – ihr in der weiten Welt, mir in Bornheim. Auch Vergangenheit das alles.

Tschüß Bockenheim

Ich vermisse dich nicht, Bockenheim, und wenigstens muß ich jetzt nicht mehr diesen scheiß Radweg benutzen, es sei denn, ich bin im Heckmeck oder im Casa Nostra verabredet. Das kommt glücklicherweise nicht allzu oft vor.
Einzig die Titanic bildet den Silberstreif über dem Taunus. Das Magazin hat seine Heimstatt in Bockenheim gefunden. Anders als mit Satire ist dir, ach Bockenheim, auch nicht beizukommen. Aber auch die Stammkneipe der Titanic ist nicht in Bockenheim, sondern in Bornheim. Aus Gründen.

Ein Jahr Frankfurter Wegsehenswürdigkeiten – ein kritischer Rückblick

Eine Idee

Frankfurter Wegsehenswürdigkeiten CoverHeute vor einem Jahr, am 19. September 2014, wurde ein Traum wahr, den ich zwanzig Jahre geträumt hatte. Einst in Berlin, wahrscheinlich rotweinselig, mit einem Freund ersonnen und dort auch beinahe realisiert, sind die Frankfurter Wegsehenswürdigkeiten endlich im Frankfurter Waldemar Kramer Verlag erschienen. Frankfurt statt Berlin.
Namhafte Autorinnen und Autoren, nicht alle zwingend aus Frankfurt, konnten gewonnen werden, einen Beitrag zu diesem Projekt zu leisten. Die Herausgeber, Jürgen Roth und ich, waren von dem Erfolg des Buches überzeugt. Die Frankfurter Presse würde sich des Themas annehmen, schließlich waren Beiträger aus allen drei Frankfurter Tageszeitungen beteiligt, dazu noch Volker Breidecker von der Süddeutschen Zeitung. Die Bücher würden in Stapeln in allen Buchhandlungen ausliegen. Das war so gut wie sicher.

Lesungen

Es ließ sich auch gut an. Die Buchpräsentation in der Romanfabrik war ausverkauft. Besonders hat mich gefreut, daß mein alter Freund, der Stuttgarter Journalist Joe Bauer, unser Vorwortschreiber, extra für den Abend angereist kam. Die Veranstaltung dauerte über anderthalb Stunden (eigentlich zu lange für eine Lesung), sieben Autorinnen und Autoren lasen ihre Texte und niemand aus dem Publikum ist vorzeitig gegangen. Ein gutes Zeichen. Für ein kurzes musikalisches Intermezzo sorgte Elis von der Lesebühne Ihres Vertrauens. Es war ein kurzweiliger Abend und der Buchhändler am Büchertisch war zufrieden.
Es folgte eine weitere Lesung im Rahmen der Lesereihe Open Books zur Frankfurter Buchmesse. Wir waren zu Gast in der Heussenstamm-Galerie. Auch diese Veranstaltung war sehr gut besucht und fütterte unseren Optimismus.

Rezensionen

Voller Vorfreude wartete ich täglich auf Rezensionen, doch die blieben aus. Nur das Journal Frankfurt hat eine launige Besprechung gebracht. Die verglich unser Buch fälschlicherweise mit den Frankfurter Unorten, einer mittlerweile dreiteiligen Reihe, die sich als eine Art Reiseführer zu versteckten Orten in Frankfurt versteht. Der Begriff Unort ist in diesem Zusammenhang also eher missverständlich. Die „Rezension“ der Wegsehenswürdigkeiten endete dann auch mit einem Hinweis auf einen Spaziergang auf den Spuren der Unorte.

Fehler

Hier offenbarte sich einer der Fehler, die wir mit dem Buch gemacht haben. Wir haben die Verwechslungsgefahr mit den Unorten komplett unterschätzt und uns nicht davon abgegrenzt. Ganz offensichtlich wurden wir von vielen, auch Buchhändlern, für Epigonen gehalten.
Diesem Eindruck hätten wir mit einer Reihe weiterer Lesungen entgegentreten können. Aber wir haben uns entschieden, vor Weihnachten auf zusätzliche Lesungen zu verzichten und statt dessen im Januar wieder anzutreten. Dies ist dann nicht geschehen, nicht zuletzt weil eine gewisse Ernüchterung eingetreten ist.
Auch haben wir auf der U4-Seite (Rückseite) des Umschlags einen Auszug aus dem Beitrag Eckhard Henscheids abgedruckt. Ein schöner, böser Text, der aber leider überhaupt nichts über das Buch aussagt. Eine weitere vertane Chance, auf die Eigenständigkeit der Wegsehenswürdigkeiten hinzuweisen. Auch wurde das Covermotiv kritisiert, wahrscheinlich zurecht. Bis es zu diesem Cover kam, wurden viele Entwürfe der Agentur von uns verworfen. Wir wollten ein Cover, das den starken Titel herausstellt. Das ist mit diesem Umschlag gelungen. Allerdings war das Motiv nicht unbedingt frankfurtypisch. Wir hätten uns für eine Ansicht mit Wiedererkennungswert entscheiden müssen.

Doch noch

Einige mediale Aufmerksamkeit gab es dann aber doch noch. Der Wiesbadener Kurier hat den Titel besprochen, ebenso wie einige Partnerzeitungen, aus Mainz etwa. Und das Hessische Fernsehen hat einen Filmbericht gesendet, mit Leo Fischer und Andreas Maier als Gästen. Dieser fünfminütige Beitrag wurde bei 3SAT in Kulturzeit wiederholt. Das hat die Wegsehenswürdigkeiten dann mal kurz auf Platz 4000 im Amazon-Ranking gehievt.
Nur die Frankfurter Tagespresse ignorierte die Wegsehenswürdigkeiten komplett. Auch nicht die Offenbach Post ließ sich zu einer Rezension hinreißen. Allein die Frankfurter Rundschau erwähnte das Buch im Lokalteil in der Rubrik „Die besten Frankfurt-Bücher des Jahres 2014“. Dort wurde der Titel an erster Stelle genannt. Gebracht hat aber auch das nichts.

Wir haben gelernt

Den Grund für das Ignorieren des Titels durch die Frankfurter Presse hat mir dann Andrea Diener (auch sie ist in den Frankfurter Wegsehenswürdigkeiten vertreten) von der FAZ verraten. Zeitungen besprechen grundsätzlich keine Bücher, bei denen ihre eigenen Autorinnen und Autoren beteiligt sind. Es war also ein Eigentor, einige Journalisten zur Mitwirkung zu bitten. Dennoch bin ich froh und dankbar, das ein Beitrag von Dieter Bartetzko enthalten ist, dem kürzlich verstorbenen Architekturkritiker der FAZ.
Auch von Verlagsseite wurde nicht viel getan, um das Buch zu einem Erfolg werden zu lassen. Dort herrschte ebenfalls die Ansicht, das Ding würde ein Selbstläufer werden. Und so wurde z. B. auf jede Werbung verzichtet.
Dennoch wurde der Titel recht gut verkauft, wenn er auch deutlich unter unseren Erwartungen geblieben ist. Aber wir haben daraus gelernt und können es besser machen.

BookUp in der Frankfurter Verlagsanstalt

Es war die erste #BookUp-Veranstaltung, an der ich teilnahm. Geladen hatte die Frankfurter Verlagsanstalt im feinen Frankfurter Westend. Zehn Jahre lang bin ich ins Westend gefahren, in die Lindenstraße zum Suhrkamp Verlag. Das ehemalige Verlagsgebäude ist längst abgerissen und einem mondänen Apartementhaus gewichen, was heute halt so gebaut wird in Frankfurt.

Normalerweise brauche ich mit dem Rad ca. 20 Minuten von Bornheim ins Westend. An diesem Dienstag wurde es mir allerdings schwer gemacht. Ein gigantischer Firmenlauf, organisiert von einer Großbank, blockierte die Stadt. Vor einigen Jahren bin ich dort mit dem S.Fischer Verlag mal mitgelaufen. Fazit: Nie wieder. Ich bin rechtzeitig losgefahren und bis zum Opernplatz kam ich auch gut durch. Dort wurde es dann eng und die Straßen waren abgesperrt. Über Schleichwege konnte ich dem Getümmel entkommen und rechtzeitig in der Arndtstraße ankommen.

Zu Gast bei der Frankfurter Verlagsanstalt

Zu Gast bei der Frankfurter Verlagsanstalt

Es war kurz vor halbsieben und die anderen zirka zwanzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer (einige kamen von weither angereist) strömten ebenfalls pünktlich in die großzügige Altbauwohnung in der Arndtstraße, die dem Verlag als Domizil dient. Hier läßt es sich sicher gut arbeiten, war mein erster Gedanke, und Joachim Unseld und seine drei Mitarbeiterinnen machten den Eindruck, dass sie genau das auch täten. Etwa fünfzehn Titel stemmt das Team jährlich, das aktuelle Programm war im Flurbereich präsentiert. Bücher von Julia Wolf, Peter Zingler, Bodo Kirchhoff oder Nino Haratischwilli etwa. Letztere bescherte dem Verlag mit ihrem 1280 Seiten starken Roman Das achte Leben (Für Brilka) einen beachtlichen Erfolg, auch ohne für eine der Listen zum Deutschen Buchpreis nominiert gewesen zu sein. Das Lektorat für diesen Titel brauchte sechs Monate, in deren Verlauf 300 Seiten des ursprünglichen Manuskriptes gestrichen wurden.

Wir wurden sehr freundlich empfangen mit Weisswein und Wasser. Als alle da waren und Platz genommen hatten, begrüßte uns Franziska Hedrich, bei der FVA zuständig u. a. für Presse und soziale Medien. Es folgte eine kurze Vorstellungsrunde der Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Etliche davon betrieben einen eigenen Blog. Ich stellte mich als „Suhrkamp-Überbleibsel“ vor, eine Bezeichnung, die Joachim Unseld später, wohl zurecht, rügte. Aber sie gab ihm die Vorlage für den Scherz, dass die Frankfurter Verlagsanstalt schuld sei am Umzug des Suhrkamp Verlags. Als die FVA vor einigen Jahren in die Arndtstraße zog, sei das für den Suhrkamp Verlag, der in der unweit gelegenen Lindenstraße residierte, zu nah gewesen. Deshalb hätte Suhrkamp die Flucht ergriffen und sei nach Berlin gezogen. Eine Anspielung auf das zerrüttete Verhältnis zu seinem 2002 verstorben Vater und dessen Wittwe.

Dann berichtete der Verleger von der Geschichte des Verlags, von seinen Erfolgen und von dem immerwährenden Bemühen, die Bücher dem Publikum bekannt zu machen und näher zu bringen. Zu etwa 900 Buchhandlungen bestünden stabile Geschäftsbeziehungen. In diesem Zusammenhang lobte er auch ausdrücklich die literarische Bloggerszene, die schon viel für manche Titel des Verlags getan hätten. Die FVA sei deshalb auch grundsätzlich bereit, vorab für Blogger Leseproben zur Verfügung zu stellen. Damit seien gute Erfahrungen gemacht worden.

Der Verleger stellt seinen Verlag vor.

Der Verleger stellt seinen Verlag vor.

Nach dieser Einführung las die Autorin Julia Wolf aus ihrem Debütroman Alles ist jetzt. Ein Roman, der als unverlangt eingesandtes Manuskript seinen Weg in das Programm der Frankfurter Verlagsanstalt gefunden hat. Etwa 1500 dieser Manuskripte erreichen den Verlag jährlich und der Verleger nimmt für sich in Anspruch, jeden dieser Texte zu prüfen. Allerdings sei die Chance, angenommen zu werden, äußerst gering, was nicht nur an der meist fehlenden Qualität liege, sondern auch an einem mittlerweile gut entwickelten Agenturwesen in Deutschland. Romane, die in der FVA veröffentlicht werden müssen einen Realitätsbezug haben. Daher findet man im Programm keine Fantasy und auch nur sehr wenige Krimis. Mir ist das ausgesprochen sympatisch. Und es fiel der bemerkenswerte Satz: „Es läuft hervorragend.“. Das hört man gerne von einem kleinen, unabhängigen Verlag.

Der Vortrag Julia Wolfs war beeindruckend, was nicht zuletzt an der klaren Sprache der Autorin lag, die erfreulich sparsam im Umgang mit Adjektiven ist. Die Reaktionen des Feuilletons auf den Roman belegen, dass es eine richtige Entscheidung war, dieses Buch, und sicher auch weitere der Autorin, zu verlegen. Sie wird dort, wie alle Autorinnen und Autoren der FVA, in den Genuss einer Rundumbetreuung kommen. Vom selbstverständlichen Lektorat, über die Organisation von Lesereisen bis hin zu Sekretariatsarbeiten, alles wird vom Verlag für die Autorinnen und Autoren getan. Natürlich wurde während der Veranstaltung fleissig getwittert und so dieser Abend in die Welt getragen. Leider war die Verbindung (es gab kein WLAN) nicht geeignet, auch Bilder zu twittern.

Julia Wolf liest.

Julia Wolf liest.

Nach dem offiziellen Teil, gab es Schnittchen (köstlich der vegane Brotauftrich), und Gespräche im kleinen Kreis. Ich fragte Unseld, der zuvor angemerkt hat, noch nie ein E-Book gelesen zu haben, ob der Verlag denn E-Books produziere. Selbstverständlich, lautete die nicht überraschende Antwort. Obwohl die E-Books recht hochpreisig seien (in der Regel 20% unter dem Preis der gedruckten Ausgabe), läge der Anteil der elektronischen Bücher bei erstaunlichen acht Prozent des Gesamtumsatzes.

Nach gut zwei Stunden schwang ich mich wieder aufs Rad und brauchte zirka eine dreiviertel Stunde, um aus der Innenstadt, die mittlerweile von zehntausenden Läufern umzingelt war, wieder rauszukommen. In der Tasche den signierten Roman von Julia Wolf (alle durften sich ein Buch der Wahl mitnehmen) und damit die Erinnerung an einen interessanten Abend. Die Frankfurter Verlagsanstalt hat seit diesem Abend mindestens zwanzig Freundinnen und Freunde mehr und mir tat es gut, mal wieder Verlagsluft zu schnuppern.

Das besoffene Schwein oder Meine Berlinale

Die Berlinale ist zu Ende. Das freut, nein, erleichtert mich etwas. Die ausführliche Berichterstattung auf Radio Eins weckte wehmütige Erinnerungen an Zeiten, die ich selbst bei der Berlinale verbracht habe. Über Jahre war ich dabei, nahm eine Woche frei und ging ins Kino. Auch schon zu Zeiten, als das Festival rund um den Zoopalast und das Delphi-Kino in West-Berlin angesiedelt war. Um Karten habe ich mich nie im Vorverkauf bemüht. Für Filme aus den Panorama- oder Forum-Reihen bekam man meistens noch Tickets an der Kasse, ebenso für Wettbewerbs-Wiederholungen. Es genügte eine halbe Stunde vor Filmbeginn dort zu sein. Hin und wieder bekam ich dann auch mal eine Karte geschenkt von Leuten, die sie selbst nicht nutzen konnten. Eine Freundin war Kamerafrau und bei der Berlinale akkreditiert. Sie versorgte mich ebenfalls gelegentlich mit Freikarten. Das lief nach dem Zufallsprinzip. Sie bekam nur jeweils eine Karte pro Film und auch nur eine für zeitgleich laufende Vorführungen. Ich mußte mich also danach richten, was sie sehen wollte und wußte daher oft nicht, was mich erwartete. Auf diese Weise habe ich Filme gesehen, die niemals den Weg zu einem deutschen Verleih gefunden haben. Die meisten davon habe ich vergessen aber einige sind mir im Gedächtnis haften geblieben.

Am eindringlichsten erinnere ich mich aber an einen Dokumentarfilm, dessen Titel mir mittlerweile entfallen ist und den ich mir ohne die Berlinale sicher niemals angesehen hätte. Der Film stammte, so ich mich richtig erinnere, von zwei französischen Regisseurinnen, vielleicht waren es auch Engländerinnen. Er behandelte ein japanisches Internat, nicht irgendeins, sondern ein Internat, in dem Catcherinnen ausgebildet werden. In Japan scheint Frauencatchen eine angesagte Sache zu sein, bei der viel Geld im Spiel ist. Der Film begleitete die Frauen in ihrem Alltag, einem Alltag der geprägt war von Disziplin, Training und militärischen Drill. Sie wurden angebrüllt und gedemütigt, wie man es sich nur auf einem Kasernenhof vorstellen kann. Die Aufseherin, anders kann man es nicht sagen, war eine kräftige Frau mit kurzgeschorenen Haaren, die versuchte die künftigen Catcherinnen zu Kampfmaschinen zu erziehen. Die Dokumentation folgte einer jungen Kämpferin, die etwas zierlicher war als ihre Kolleginnen. Ihr Schicksal war exemplarisch. Dadurch, daß die Kamera immer sehr nah am Geschehen war, entwickelte der Film eine ungeheure Intensität, was unter anderem dazu führte, daß ich ihn auch nach Jahren noch sehr deutlich vor Augen habe. Die Ausbildung der Frauen, während der es kein Privatleben gibt, dauert ein Jahr. Nur eine Frau hat aufgegeben in der Zeit, alle anderen haben durchgehalten. Nach diesem Jahr werden die Frauen in ihre ersten Profikämpfe geschickt. Ich ertappte mich wie ich die Fäuste ballte, mit der Protagonistin mitfieberte und sie innerlich anfeuerte als sie erstmals im Ring stand: „Mach sie fertig, hau sie um, laß dich nicht unterkriegen, wehr dich…“. So in etwa lautete mein innerer Monolog. Sie hat den Kampf verloren.

Mein schönstes Kinoerlebnis habe ich ebenfalls der Berlinale zu verdanken. Es war das Jahr, in dem Detlev Bucks Film Wir können auch anders im Wettbewerb lief. Der Film bedeutete den Durchbruch für Joachim Król als Schauspieler. Meine damalige Nachbarin und gute Freundin kannte Król aus gemeinsamen Schulzeiten in Herne. Sie waren Jugendfreunde. Król besuchte sie als er mit dem Film bei der Berlinale war. Am nächsten Tag gab es für einige Freunde und Bekannte eine Privatvorführung von Wir können auch anders im Delphi-Kino. Ich durfte dabei sein. Es saßen vielleicht 17 Leute in dem riesigen Kinosaal, dabei auch Sophie Rois. Anschließend gingen wir mit einer kleiner Gruppe irgendwo was trinken, leider ohne Sophie Rois. Joachim Król plauderte ein bißchen aus dem Nähkästchen über die Entstehungsgeschichte des Films, zum Beispiel, wie sie versucht haben, das Schwein mit in Bier getränktem Brot ruhig zu stellen. Das sind die unvergesslichen Geschichten, die das Kino schreibt. Der Film ist bis heute eine meiner liebsten Komödien und der Satz „Gelder sind vorhanden“ gehört seither zu meinem aktiven Wortschatz.

Natürlich kann man das ganze Jahr ins Kino gehen, aber es ist die besondere Atmosphäre, die ein Festival wie die Berlinale zu etwas Besonderem macht. Morgens um neun sitzt man normalerweise nicht im Kino, bei der Berlinale schon. Und drei Filme schaut man auch nicht an einem Tag, bei der Berlinale schon (ich weiß, es gibt Leute, die schaffen fünf). Im Kinosaal herrscht eine besondere Spannung, die noch geschürt wird vom Festival-Trailer und der Musik. Und dann geht es los. Die Filme werden immer in Originalfassung mit englischen Untertiteln gezeigt und anschließend gibt es Applaus oder eben auch Pfiffe. Nach dem Abspann stehen Regisseure und Darsteller für Fragen zur Verfügung. In den Pausen zwischen zwei Filmen versucht man irgendwo einen Platz zu finden, wo man in Ruhe einen Kaffee trinken, oder was essen kann. Und dauernd begegnen einem Menschen, die man sonst nur im Kino oder im Fernsehen sieht. Nach drei Filmen, mehr hab ich nie geschafft, brauchte ich abends immer eine ganze Weile um mich wieder im Alltag zurecht zu finden. Die Berlinale, das war immer eine Woche in einem Paralleluniversum, ein Ausflug ins Ungewisse und Andere. Und das muß ich unbedingt mal wieder haben, vielleicht nächstes Jahr

01. November 2014 – Ein Rückblick mit Musik, einer Buchpräsentation, einer Buchmesse und jeder Menge Namedropping

Der Oktober 2014 war ein besonderer Monat

Es fing schon Ende September an mit dem Konzert der Schwestern aus Schweden, die als First Aid Kit derzeit Erfolge feiern. Zurecht, wie ich nach dem Konzert sagen kann. Die eigentliche Sensation aber war der Support, ein junger Mann aus Manchester, Jo Rose, der allein mit seiner akustischen Gitarre auf der Bühne stand und schon nach wenigen Takten das Publikum im gut gefüllten Zoom zum Schweigen und gebanntem Lauschen brachte. Was für eine Stimme, was für wunderbare Songs! Er hat die Musik nicht neu erfunden, braucht sich aber nicht hinter namhaften Kollegen wie M. Ward, Joe Henry, Rufus Wainwright oder auch Neil Young zu verstecken.

Jo Rose Debüt Album

Jo Rose Debüt Album

Nach Konzertende habe ich mir die Debüt-CD gekauft (Vinyl gab`s leider nicht) und vom Künstler signieren lassen. Zuhause dann gehört und erneut völlig überrascht. Anders als auf der Bühne des Zoom, wird Jo Rose hier von einer Band begleitet. Wir hören neben den üblichen Begleitinstrumenten, Bläser, Streicher und eine Steelguitar, großartig arrangiert das Ganze. Nach einer halben Stunde endet die CD und man braucht eine Weile, um von diesem Rausch wieder auf dem Fußboden zu landen. Sensationell – und wenn es eine Gerechtigkeit gibt in der Musikwelt, dann wird dieser Mann eine große Karriere machen und die signierte Debüt-CD in einigen Jahren ein kleines Vermögen wert sein.

Buchpräsentation

Es folgte am 2. Oktober die Vorstellung der Frankfurter Wegsehenswürdigkeiten. Zwanzig Jahre habe ich auf diesen Moment gehofft, nun war er da und ich entsprechend aufgeregt. Aber es ging alles gut. Die Romanfabrik war sehr gut gefüllt und niemand ist früher gegangen, obwohl sich der Abend in die Länge zog. Etwas über anderthalb Stunden wurde gelesen, nur unterbrochen von einem kleinen und feinen musikalischen Intermezzo durch Elis. Die Reaktionen waren sehr positiv und der Buchhändler hat gut verkauft. Mein alter Freund Joe Bauer aus Stuttgart, der das Vorwort geschrieben hat, kam mit Freundin Barbara angereist und sie blieben über das Wochenende. Wir sind stundenlang durch Frankfurt gelatscht, auf den Spuren der Wegsehenswürdigkeiten.

Buchmesse

Aufräumarbeiten beim Messeaufbau

Aufräumarbeiten beim Messeaufbau

Dann natürlich die Buchmesse. Es fing, wie in den letzten Jahren auch, am Dienstag an mit dem Aufbau am Suhrkampstand. Aufbautage sind besondere Tage, der Messebetrieb hat noch nicht angefangen und es ist schön, alte Kolleginnen und Kollegen zu treffen. Überall ist eine gewisse Euphorie zu spüren. Die Messe ist das Familientreffen der Buchmenschen. Dieser Tag endet traditionell mit Altbier und Brezeln beim Buchmarkt. Dort trifft man dann Menschen aus anderen Verlagen und erfährt die ersten Neuigkeiten. Nicht mehr ganz nüchtern endet der Dienstag und alle freuen sich auf das, was in den nächsten Tagen kommen wird.
Allzuviel will ich über die Messe gar nicht schreiben, das haben mein Messegast Stefan Möller und Wiebke Ladwig bereits trefflich erledigt. Am wichtigsten sind ohnehin immer die Menschen, die man trifft. So konnte ich endlich Stephanie Bart persönlich kennenlernen, mit der ich schon seit einiger Zeit recht intensiv über Twitter verbunden bin. Sie hat mit Deutscher Meister einen beeindruckenden Roman geschrieben, der bei HoCa Spitzentitel ist. Am Donnerstagabend las sie bei Open Books, ich war dabei. Dort lernte ich dann endlich auch mal Philipp Werner kennen, Stephanies Lektor bei HoCa und Moderator der Lesung. Ich hatte mit ihm zu tun, als er meine Anthologie Mit des Blitzes Schnelle im Fischer Taschenbuchverlag betreute. Dieser Kontakt lief allerdings ausschließlich über Mail, getroffen hatten wir uns nie. Dafür gibt es die Messe.
Normalerweise wären wir jetzt nach Sachsenhausen gefahren zum Fest des Fischer Verlages. Aber das fiel wegen irgendwelcher Auflagen der Versicherung in diesem Jahr aus. Dankenswerterweise hat die Titanic ihren Abend von Freitag auf Donnerstag vorgezogen – und ich hatte, Leo Fischer sei Dank, erstmals eine Einladung. Vielleicht das schönste Fest der Messe – in einem Bootshaus am Main mit Skylineblick -, was ich leicht sagen kann, da es auch mein einziges war. Und hätte ich geahnt, was für ein köstliches Büffet die Chefsatiriker auffahren ließen, ich hätte auf die überteuerte Tüte Pommes in der Innenstadt verzichtet. Es war ne Menge Prominenz da, inklusive eines echten Europaabgeordneten.

Ich werde eher nie von Frauen angesprochen, doch bei der Titanic-Party passierte genau das. „Du bist doch der, der mir vor zwei Jahren geholfen hat, die Kisten ins Auto zu schleppen.“ Jetzt dämmerte es auch mir. Vor mir stand die wunderbare Undine Löhfelm von Orange Press in Freiburg. In der Tat, es hatte sich damals so ergeben und ich half ihr, die Kisten mit dem Standinventar des Verlags am Ende der Messe zum Auto zu schleppen. Es war eine elende Plackerei. Wir plauderten kurz und dann war sie wieder verschwunden.

Jürgen Roth und ich waren am Freitagabend im Rahmen von Open Books in der Heussenstamm Galerie zu Gast. Unterstützt wurden wir von Dirk Braunstein und Philipp Mosetter, die auch schon bei der Präsentation in der Romanfabrik dabei waren. Die Galerie war sehr gut besucht und ich mal wieder etwas nervös, sollte ich doch erstmals meinen Text vortragen. Zum Glück war die Zeit knapp bemessen, mein Vortrag war nicht mehr nötig und ich habe ein bißchen moderiert. Die beteiligten Herren haben auch alles bestens besorgt. Imposant wie Jürgen Roth den Text von Eckhard Henscheid las. Nach einer knappen Stunde war es zur Zufriedenheit aller erledigt und wir konnten eine nahegelegene Bindingkaschemme aufsuchen.
Der Samstag begann früh. Gegen elf Uhr setzte ich mich aufs Rad und fuhr gen Gallus. In einer dortigen Galerie war eine „Frühschoppenlesung“ annonciert, mit dem Kollegen Jürgen Roth und Thomas Kapielski. Ich kam zu spät, konnte dafür aber meinen Eintrittsobulus frei wählen. Einen Zehner war mir die Sache dann noch wert, war doch unbeschränkt Bier und Kaffee und Rindswurst darin enthalten. Ich nahm alles und amüsierte mich köstlich – wie alle Anwesenden in dem gut gefüllten Hinterhofraum. In Leipzig finden diese Lesungen regelmäßig satt, für Frankfurt war es eine Premiere. Es ist zu wünschen, daß es nicht dabei bleibt. Nachmittags dann auf der Messe ein Treffen mit der sehr geschätzten Twitterfreundin @mokka98. Es war sehr kurzweilig und leider auch zu kurz. Man kann sich trefflich mit ihr unterhalten, Bier trinken (schon wieder) und Fahrrad fahren. Letzeres weiß ich noch nicht, hoffe aber, daß es im nächsten Jahr mal dazu kommen wird. Schön, wenn sich die virtuelle Welt im richtigen Leben wiederfindet.

Arbeiten und Restetrinken – der letzte Tag

Am Sonntag stand ich wieder in Diensten des Suhrkamp Verlages. Es wird verkauft und alles ist recht betriebsam. Große Freude kam auf, als Markus Hablizel vorbeischaute. Er hatte etwas Zeit und wir konnten uns unterhalten. Vor einigen Jahren hatte er mit seinem Verlag noch einen eigenen Stand in Frankfurt. Jetzt steckt er das Geld lieber in andere Sachen, wie z. B. ein fünftägiges Fest in Köln zum fünfjährigen Bestehen seines Verlages. Herzlichen Glückwunsch nochmals an dieser Stelle. Solche Verlage sind das Salz in der Suppe der Literatur.
Dann war schon wieder Schluss, fast. Es folgte noch das Restetrinken beim Folio Verlag. Auch hier war ich erstmals dabei. Irgendwer hatte mich überredet (es war nicht schwer). Vielleicht war doch diese „After Work Party“ und nicht das Titanic-Fest die schönste Party der Messe. Der eifrige Jörg Sundermeier war da, Kristine Listau selbstverständlich auch. Sie hatten noch etwas Zeit, bis der Zug sie zurück nach Berlin bringen sollte. Jörg machte mich mit Deniz Yücel von der Taz bekannt. Ich versprach ihm ein Rezensionsexemplar der Frankfurter Wegsehenswürdigkeiten. Er war sehr interessiert, schließlich sei er Hesse. Viele andere waren auch da und machten sich über die, doch sehr impossanten, Reste her. Und Undine war da. Diesmal hatten wir etwas mehr Zeit zum Plaudern. Jetzt sind wir auf Facebook „befreundet“. Dafür ist Facebook da.
Es sind die Menschen, die die Messe ausmachen, und bei vielen wünschte ich mir, sie öfter als nur einmal jährlich zu sehen (längst nicht alle habe ich hier erwähnt). Verpasst habe ich leider Marion Brasch. Aber daran bin ich selbst schuld.
Also, bis zum nächsten Jahr. Und vielleicht darf ich ja auch mal wieder Kisten schleppen.

Mit Hut und Blauharz

Brasch, Wunderlich fährt nach Norden.Mit ihrem neuen Roman Wunderlich fährt nach Norden vollzieht Marion Brasch – nach ihrem realitätgesättigtem Debüt Ab jetzt ist Ruhe (2012) – einen mutigen und radikalen Genrewechsel. Sie nimmt uns mit auf eine phantastische Reise und erzählt ein märchenhaftes Roadmovie, in dem die Grenzen der Realität und Logik des öfteren überschritten werden.
Es fängt banal an. Wunderlich – der Name hätte nicht besser gewählt sein können – sitzt mit Marie, seiner Freundin, auf dem Dach eines großstädtischen Altbaus, als sie ihm eröffnet, sie werde ihn verlassen. Alles Bitten und Flehen nützt nichts, sie geht und läßt unseren Helden allein und verzweifelt zurück. Es passiert, was in einer solchen Situation passieren muß. Das Leben muß sich ändern und man tut etwas, was man sonst nicht tut, um dem Alltag und Schmerz zu entfliehen.
Wunderlich kommt der Film Zugvögel – Reise nach Inari in den Sinn. Der Film erzählt die Geschichte eines Mannes, der allein eine Zugreise nach Finnland unternimmt. Am nächsten Tag setzt Wunderlich, im besten Midlifekrisenalter und eher antriebsarm und phlegmatisch, den Hut auf, fährt zum Bahnhof, kauft sich eine Monatsnetzkarte und besteigt den nächsten Zug nach Norden. So ganz von alleine ist er nicht auf diese Idee gekommen. Da gibt es noch „Anonym“, eine unbekannte Stimme, die sich per SMS meldet. Guck nach vorn hat sie ihm gesagt. Anonym ist eine Art innere Stimme, allerdings eine mit hellseherischen Fähigkeiten. Sie ist keine gute Fee, bei der man drei Wünsche frei hat, und gelegentlich ist sie auch eigensinnig und verweigert Antworten. Anonym wird Wunderlich auf seiner wundersamen Reise in eine Parallelwelt begleiten. Wunderlich läßt sich von Anonym treiben.
Die Reise beginnt mit einer Schaffnerin mit Blockwartcharakter und ist bereits nach einer Stunde wieder beendet. An einem Geisterbahnhof irgendwo in der Pampa verläßt Wunderlich den Zug wieder – Anonym hatte ihm dazu geraten. Es war doch im Grunde völlig egal wo er gerade war, und hier war es genauso gut wie anderswo. Dort lernt er Finke kennen, eine eigenwillige, undurchschaubare aber nicht unsympatische Figur. Sie trinken Bier zusammen, fassen Vertrauen zueinander. Schließlich nimmt Finke ihn mit zu der heruntergekommenen ehemaligen Gaststätte, in der er haust. Irgendwann ist das Bier alle. Finke fährt zur Tankstelle um neues zu holen – und kommt nicht zurück.
Es folgt eine Odyssee durch eine gottverlassene Gegend, in deren Verlauf Wunderlich weitere skurrile aber meist liebenswerte Menschen begegnen. An erster Stelle sei hier Toni genannt, eine androgyne Göre – und, laut Anonym, eine notorische Lügnerin – mit der er sich schnell anfreundet. Für Toni ist Wunderlich nur der Hutmann. Die Ereignisse überschlagen sich und Wunderlich trägt die eine oder andere Blessur davon. Zum Glück gibt es aber das Blauharz, daß er mit Toni zusammen entdeckt. Ein magischer Stoff, der Wunden heilen kann, aber auch die Erinnerung daran. Wir sind in einem Märchen.
Als Finke nach vier Tagen immer noch nicht wieder zurückgekommen ist, verläßt ein veränderter Wunderlich diesen Ort, der ihm Heimat geworden ist, auf abenteuerliche Weise in Richtung Norden. Zuvor nimmt ihm Toni das Versprechen ab zurück zu kommen.
Er schafft es bis zum Meer, mietet sich im besten Haus am Platze ein und kehrt nach wenigen Tagen wieder zurück. Oder doch nicht?
Die Autorin betont immer wieder, daß diese Geschichte an jedem Ort der Welt spielen könne, Hauptsache die Landschaft sei platt wie ein Brett. Jedoch darf man sich das Haus auf dessen Dach alles beginnt, als einen Altbau im Prenzlauer Berg vorstellen und bei den verlassenen Landschaften fühlt man sich in Bilder Mecklenburgs aus Detlev Bucks Film „Wir können auch anders“ (1993) versetzt.
In Wunderlich fährt nach Norden erzählt Marion Brasch mit leichter Hand eine melancholische Geschichte, die Grenzen überschreitet und der Phantasie Raum gibt. Literatur darf das. Um Wunderlich nicht zu vergessen, sollten wir die Finger vom Blauharz lassen.

Marion Brasch, Wunderlich fährt nach Norden. 2014, S. Fischer, € 19,99

Weshalb ich Burgenblogger werden will

Der Rhein rauschte prächtig funkelnd in der Morgensonne zwischen den Bergen hin.

Joseph von Eichendorff

Wir lebten in Frankfurt am Main. Die Großeltern wohnten in Köln am Rhein, später dann in der Nähe von Bonn. Ich habe viel Zeit bei ihnen verbracht. Oft fuhren wir mit dem Opel Rekord meines Großvaters von Köln nach Frankfurt, später dann mit dem 190er Diesel. Oder in der Gegenrichtung mit dem Käfer meiner Eltern, später dann mit dem Opel Kadett. Egal mit welchem Auto oder in welcher Richtung, die Strecke blieb die selbe – das Rheintal.

Dieses eng gewundene Tal mit seinen Burgen und Weinbergen hat mich als Kind fasziniert und meine Phantasie beflügelt. So ist diese Landschaft Teil meiner Kindheit und Namen wie Bingener Mäuseturm oder Loreley haben noch heute einen geheimnisvollen Klang.

Irgendwann malte ich aus der Erinnerung das Tal mit Wasserfarben und einer gehörigen Portion kindlicher Naivität. Dieses Bild schenkte ich meinen Großeltern zu Weihnachten. Sie rahmten es und gaben ihm einen Platz an der Wohnzimmerwand. Mittlerweile ist es verschollen, aber ich habe es noch sehr genau vor Augen. Als Burgenblogger  werde ich das Tal und seine Menschen sicher nicht mit Farbe und Pinsel dokumentieren sondern mit Handy und Digitalkamera. Aber dazu später.

Das Rheintal war die erste Transitstrecke meines Lebens – eben von Frankfurt nach Köln/Bonn und retour. Eine Transitstrecke ist der Rhein heute noch und wird es auch bleiben. Es ist der auffallende Gegensatz des Mittelrheins – einerseits Kulturlandschaft und Weltkulturerbe, berühmtes Weinbaugebiet und Touristenziel, andererseits vielbefahrener Verkehrsweg zu Wasser und auf der Schiene. Interessant ist wie sich diese Gegensätze in den Menschen und der Landschaft spiegeln. Ich muß aber gestehen nicht allzu viel Ahnung von dem Landstrich zu haben. Was gibt es dort sonst außer Burgen, Weinbau, Tourismus, Fluss und Verkehr? Ist das Tal auch ein Industriestandort? Welche Industrie? Entsteht dort Musik, Literatur – welche Künstler leben dort? Das sind Fragen, die mich beschäftigen, je länger ich über die Aufgaben des Burgenbloggers nachdenke. Es sind spannende Fragen.

Später dann, im Erwachsenenalter, hatte ich es mit einer anderen Transitstrecke zu tun, der von Westberlin nach der alten Bundesrepublik. Da gab es nichts zu malen und der Rhein war weit weg. Wer mit dem Zug von Berlin nach Köln fährt kommt nicht am Rhein vorbei.

Im Jahre 1993 habe ich es wieder geschafft dem Fluss eine Weile zu folgen, und zwar mit dem Rad. Vom Niederrhein kommend fuhr ich mit einem Freund den Rhein stromaufwärts, bis Koblenz. Von dort ging es an der Mosel entlang und über Saône und Rhône weiter bis in die Provence.

Mit diesem Freund war ich in jenen Jahren oft in Frankreich mit dem Rad unterwegs – von Ost nach West und von Nord nach Süd. 1989 folgten wir dem Lauf der Rhône, vom Rhônegletscher bis zur Mündung in der Camargue. Der Ursprung des Rheins in Graubünden ist vom Rhônegletscher im Wallis nicht allzu weit entfernt.

Radwanderführer RhoneAls Ergebnis unserer Reise erschien 1990 dieser Radwanderführer (der schon lange vergriffen ist). Es war eine abwechslungsreiche Reise an den Ufern der Rhône und aufregend zu erleben, welchen Veränderungen der Fluss ausgesetzt ist und wie er die Menschen und die Landschaften prägt.

Anfang dieses Jahrtausends bin ich nach Frankfurt zurückgekehrt und der Rhein ist wieder näher gerückt. Jetzt fuhr ich auch flussabwärts bis Bingen. Von dort weiter durch das Tal der Nahe ins Saarland und nach Lothringen. Und wenn ich heute mit dem Zug nach Köln fahre, nehme ich stets den langsameren auf der linksrheinischen Seite und genieße die Landschaft meiner Kindheit.

Ich werde also das Mittelrheintal und sein Hinterland hauptsächlich mit dem Fahrrad oder zu Fuß entdecken – und mit sehr viel Neugier. Gelegentlich sicher auch mit Bahn, Bus oder Schiff. Besser als mit dem Rad oder zu Fuß kann man sich einer Landschaft und seinen Menschen nicht nähern. Und ich kann endlich das mir noch fehlende Teilstück zwischen Bingen und Koblenz mit dem Rad erkunden. Zur Einstimmung greife ich mal wieder zu Brentanos Rheinmärchen.

Auf buntbewegten GassenNicht nur mit Radfahren kenne ich mich aus, auch mit Spaziergängern und Bahnfahrern. Diese BücherMit des Blitzes Schnelle (Auf buntbewegten Gassen, 2011, vergriffen, Mit des Blitzes Schnelle, 2012) habe ich vor wenigen Jahren im Fischer Taschenbuchverlag herausgegeben.

Im September erscheint im Frankfurter Waldemar Kramer Verlag das, von Jürgen Roth und mir herausgegebene Buch Frankfurter Wegsehenswürdigkeiten. 42 Autorinnen und Autoren haben sehr genau hingesehen und einen etwas anderen Stadtführer geschaffen.

Frankfurter WegsehenswürdigkeitenWegsehenswürdigkeitenMit der Welt teilen werde ich meine Beobachtungen, Erkenntnisse und Erlebnisse über meine Social-Media-Kanäle, wie Twitter, Facebook und Google+. Auf meinem Tumblr-Blog schlechte fotos veröffentliche ich ausschließlich Handyfotos, bei Pinterest  sammle und teile ich alles Mögliche. Es gibt auch noch einen bislang ungenutzten Instagram-Account. Den werde ich als Burgenblogger aktivieren. Bei allen meinen Fotos sind Filter und Blitz verboten. Die einzige Bildbearbeitung, die ich nutze, ist der Zuschnitt.

Ebenso wenig wie Filter wird es Selfies geben. Ich bin nicht wichtig, es geht um den Fluss, das Tal, die Umgebung, die Menschen und ihre Kultur. Textbeiträge landen in meinem WordPress-Blog . Eine Verbreitung über diese Kanäle hinaus bietet die gewünschte Kooperation mit dem kulturellen Online-Magazin Glanz und Elend.

Abgegeben

Letzte Woche war es soweit. Wir haben das Manuskript abgegeben, mit zweimonatiger Verspätung. Aber das ist im Verlagsgeschäft normal und der Verleger hatte Verständnis. Wir, das sind Jürgen Roth und ich. Mit Jürgen Roth hatte ich den perfekten Mitherausgeber gefunden; ohne ihn wäre das Buch nicht entstanden. Als ich ihm vor einiger Zeit von meiner Idee erzählte, war er sofort bereit, mitzumachen. Ich wollte sie schon vor zwanzig Jahren in Berlin verwirklichen. Es gab einen interessierten Verlag und es gab Hpunkt, mit dem ich das Projekt machen wollte. Es ist daran gescheitert, daß Hpunkt völlig unerwarteterweise Vater wurde.

Aber der Einfall hat mich nie mehr losgelassen. Als ich anfang des neuen Jahrtausends zum Suhrkamp Verlag nach Frankfurt am Main wechselte, war Berlin aus dem Schneider. Vor einigen Jahren gab es bereits einen Versuch, das Buch in Frankfurt zu machen, mit einem anderen Mitherausgeber. Es hat nicht geklappt, wir haben keinen Verlag gefunden. Mittlerweile bin ich sehr froh darüber.

Allzuviel möchte ich noch nicht verraten über das Buch. Nur soviel, es geht um Frankfurt – es läßt sich auch für jede andere Stadt umsetzen – und ist eine Textsammlung; bis auf zwei Ausnahmen sind alle 42 Beiträge ausnahmslos für dieses Projekt verfasst. Die Autorinnen und Autoren sind namhafte Journalisten, Kabarettisten, Satiriker, Geisteswissenschaftler und Literaten – Profis allesamt. Der einzige Laiendarsteller bin ich. Wenn ich mir das imposante Inhaltsverzeichnis anschaue, gewinne ich den Eindruck, daß Jürgen Roth und ich einen Punkt angesprochen haben, zu dem viele etwas zu sagen hatten. Gelegentlich twittere ich unter dem unverständlichen Hashtag #ffwsw darüber.
Es war erwartet aufwendig, 42 Beiträge innerhalb des ursprünglich genannten Zeitrahmens einzusammeln. Die sog. Deadline wurde mehrfach nach hinten verschoben, am Ende dann um zwei Monate. Ein Eindruck läßt sich hier gewinnen.
Am 19. September spätestens soll das Buch erscheinen, rechtzeitig zur Buchmesse. Bis dahin gibt es hoffentlich auch einen brauchbaren Coverentwurf. Bislang ist das nämlich noch nichts. Dann geht es los mit Buchvorstellungen und Veranstaltungen und es fängt wieder an, Autorinnen und Autoren zu bitten und notfalls auch zu drängen, sich an diesen Veranstaltungen zu beteiligen. Eine Facebook-Seite wird eingerichtet, denn mit den Erscheinen des Buches ist das Thema noch nicht abgeschlossen. Jetzt gibt es auch einen Termin für die Buchpräsentation. Am 2. Okt wird das Projekt in der Romanfabrik vorgestellt.

In einem bin ich mir sicher – die Aufmerksamkeit in Frankfurt-RheinMain wird groß sein.

 

Sie nennen mich den Wolfgang Koeppen der Satire

Ein Facebook-Gespräch mit dem Frankfurter Autor Leo Fischer*

25. Feb. 17:09
Leo Fischer:
Lieber Stefan, wie sieht es denn mit Fotos aus für Deinen Stadtführer? Die wären für meinen Beitrag, wie ich ihn jetzt geplant habe, extrem wichtig. Sind Fotos möglich, und wenn ja, mache ich selber welche, oder wird ein Fotograf zu von mir bezeichneten Orten geschickt? Beste Grüße

17:27
Stefan Geyer:
Lieber Leo, ja, unbedingt EIN Foto, am besten selbst gemacht. Steht auch so im Exposé. Und bitte noch eine KURZE Vita. Geboren wann und wo, lebt als… in… Letzte Verõffentlichung. Nicht mehr. Bin sehr gespannt auf Deinen Beitrag. Beste Grüße, Stefan

17:28
L.F.:
Lieber Stefan, gehen auch mehrere Fotos? Ich möchte ja eine Führung durch die T*** machen. Der Text würde Dich dann nächste, spätestens übernächste Woche erreichen, wenn das konveniert.
Herzlich, Leo

17:33
S.G.:
Muß ich mit Jürgen besprechen. Aber wieso nicht. Wir sind nicht dogmatisch. Manch einer will gar kein Foto. Aber nicht mehr als drei, bitte. Wir wollen ein Lesebuch machen. Bis denn, Stefan

17:33
L.F.:
Okay, dann muß ich halt den Rest anschaulich beschreiben.

17:34
S.G:
Genau, Du bist doch ein Mann des Worts. 🙂

10. März, 15:01
S.G.:
Lieber Leo, ich möchte Dich sanft daran erinnern, daß der Abgabetermin naht. In drei Wochen spätestens brauchen wir die Texte. Bitte schick mir auch noch eine Kurzvita: Geboren… in…, lebt in …, arbeitet als… bei…, letzte Veröffentlichung…
Vielen Dank und herzliche Grüße
Stefan

15:23
L.F.:
Ja! Bis Ende der Woche.

16:44
S.G.:
Prima.

13. März, 18:42
L.F.:
Lieber Stefan, leider konnte ich meine Besichtigung noch nicht machen, da ich mit einem schweren Husten zu kämpfen habe. Ich hoffe, daß es über das Wochenende besser wird. Du erhältst den Text dann Anfang der Woche. Herzlich Leo

22:28
S.G.:
Kein Streß, das reicht locker. Gute Besserung. Und wir sehen uns beim Medienmittwoch. Herzlich, Stefan

8. April, 15:44
S.G.:
Hallo Leo, was macht der Text? Grüße, Stefan

15:56
L.F.:
Donnerstag! Ganz g’wiß.

16:14
S.G.:
Prima. Freu mich.

12.April, 12:16
S.G.:
Und?

19. April, 14:07
S.G.:
Lieber Leo, allerletzter Termin: 27. Apr. Wir würden es bedauern, wenn Du nicht dabei wärst. Und Du vielleicht auch. Schöne Feiertage, Stefan

20. April, 02:35
L.F.:

FB-Daumen

 

 

 

 

28. April, 14:49
S.G.:
Leo, gib mir bitte eine aufrichtige Antwort. Besteht die realsitische Aussicht, daß wir Deinen Beitrag noch kriegen, oder nicht? Wir haben jetzt die Deadline bereits um 4 Wochen nach hinten verlegt und ich habe keine Lust, das für nichts und wieder nichts erneut zu tun. Wir stehen auch unter Zeitdruck. Grüße, Stefan

14:55
L.F.:
Das weiß ich, Stefan. Wenn Ihr den Beitrag morgen nicht habt, dann dürft ihr mir zur Strafe hundert Mal auf den Kopf schlagen. Dies gelobt feierlich: Leo

14:57
S.G.:
Na, da bin ich aber gespannt. Würde mich wirklich sehr freuen!!!

22:22
L.F.:
Der Artikel ist praktisch fertig, habe heute auch noch mal Fotos gemacht. Ich überarbeite ihn morgen früh und schicke ihn Dir dann.

30. April, 00:31
S.G:
Und ich dachte schon, wir könnten zur Buchvorstellung Hau Den Leo spielen. Bin sehr gespannt.

19:14
L.F.:
Sorry, habe gestern abend noch jemanden kennengelernt… morgen früh!

19:34
S.G.:
Hoffentlich hat es sich gelohnt. OK, morgen.

01.Mai, 17:56
L.F.:
Der Liebe eine Gasse! Meine neue Bekanntschaft beansprucht mich leider. Aber morgen früh hast Du ihn, beim Zeus!

18:10
S.G.:
Ich glaube, aus unserer Facebookkommunikation mache ich einen eigenen Anhang. Aber es sei Dir gegönnt.

19:48
L.F.:
Sie nennen mich den Wolfgang Koeppen der Satire.

05. Mai, 12:34
S.G.:
Leo, LAST CALL!

16:39
L.F.:
Lieber Stefan, wenn Du ihn morgen nicht hast, will ich für immer schweigen.

16:39
S.G.:
Ich will ihn! Und Dich sprechend. Ansonsten schick mir was Du hast. Z.B. den schönen Text, den Du beim […] gelesen hast, Goethedenkmal (gemeint war ein Kunstobjekt mit dem Titel „Ein Haus für Goethe“).

06. Mai, 19:05
L.F.:
Bin fast fertig! In anderthalb Stunden hast Du ihn.

20:45
L.F.:
Bittesehr!

20:55
S.G.:
Bin nicht zuhause. Aber sehr gespannt. Vielen Dank!

21:07
L.F.:
Evtl. morgen noch mal überarbeitet…

23:46
S.G.:
Da wird nichts mehr überarbeitet! Es liegt jetzt in Herrn Roths Hand. Aber, lieber Leo, das Warten hat sich gelohnt. Ein wunderbarer Text! […]

 

 

*Mit freundlicher Genehmigung von Leo Fischer

 

 

 

 

 

Analog

AnalogbierIch setzte mich an den gewohnten Platz am Stammtisch. Das Bier kam umgehend – ich trinke immer dasselbe. Dann der automatische Griff in die rechte Innentasche meiner Jeansjacke. Der Puls wurde schneller, das Herz raste, auf der Stirn bildeten sich Schweißperlen. Ich hatte den Taschencomputer vergessen. Den spontanen Impuls, die zehn Minuten nach hause zu laufen und das Gerät zu holen, unterdrückte ich nach kurzer Überlegung. Es war niemand im Lokal, mit dem oder der ich mich hätte unterhalten können. Aber ich hatte ein Buch dabei, wie immer. „Lies was“, sagte ich mir, „wie früher“. Ich habe oft stundenlang in Kneipen gesessen und gelesen.

Das Buch, das ich aufschlug, paßte zu meiner Situation – „Analog“ von Thomas Meinecke. Der kleine Band aus dem Verbrecher Verlag versammelt die Musikkolumnen des Autors, DJs und Musikers. Die Illustrationen stammen von der Künstlerin und Musikerkollegin Michaela Melián. Es geht um Techno, House, Deep House, Disco und Gender, lauter Sachen, von denen ich nichts verstehe. Aber der Enthusiasmus, mit dem Meinecke sein Thema behandelt und die Schönheit seiner Sprache ließen mich dranbleiben. Und, wer weiß, vielleicht schleicht sich ja die eine oder anderere Erkenntnis ein. Zu seinen DJ Sets in ganz Deutschland reist der Autor mit der Bahn. Da er ausschließlich mit Vinyl arbeitet, nimmt er nie mehr als 90 LPs mit. Ich möchte keine 90 Platten schleppen und mit der Bahn transportieren.

Meinecke ist ein guter DJ (soweit ich das beurteilen kann). Ich habe ihn zweimal gehört. Einmal im Frankfurter Schauspiel, anläßlich einer Veranstaltung von der mir nur sein Set in Erinnerung geblieben ist und ein anderes Mal in der, mittlerweile geschlossenen, Frankfurter Disco U60311. Es war während des sogenannten „Taschenbuch-Fests“, einer Party, die der Suhrkamp Verlag eine Zeitlang zur Buchmesse veranstaltet hat. Schon seit einigen Jahren verzichtet der Verlag auf diese Veranstaltung. Bis 23 Uhr war das Fest nur für geladene Gäste, danach durften alle rein. Es war immer sehr laut bei diesen Abenden. Die Bässe wummerten und die Hosenbeine flatterten. An Gespräche war nicht zu denken.

An diesem Abend legte irgendein DJ den üblichen Partymix auf, von Abba bis Gloria Gaynor. Nichts was mich auf die Tanzfläche treiben würde. Aber die war natürlich voll – bis Meinecke kam. Er packte seine Platten aus und spielte die Musik, die im U60311 normalerweise zu hören war, Techno, House, Drum and Base (Nehme ich an. Wie gesagt, ich habe davon keine Ahnung). Die Partytänzer hatten die Tanzfläche längst verlassen, mir aber ging die Musik in die Beine und trieb mich genau dorthin. Da blieb ich dann für die nächsten zwei Stunden. Mit mir bewegten sich vielleicht zehn andere Leute zu Meineckes Beats. Es war wunderbar, für zwei Stunden gab es nur noch Musik, Rhythmus und Bewegung. Alles um mich herum war ausgeblendet. Naßgeschwitzt, etwas betrunken und glücklich setzte ich mich auf mein Rad und fuhr nach hause. Daran mußte ich denken, als ich Meinecke las, nichts verstand und Bier trank.

Als ich nach ein paar Bieren und etlichen Seiten „Analog“ nach hause kam und endlich wieder mit der Welt verbunden war, schaltete ich sofort den Computer an und durchstöberte meine Social-Media-Kanäle. Alles war gut, ich hatte nichts verpaßt und niemand hat mich vermisst.